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Credit Bild: © C.H. Beck |
Doch dann gibt es noch eine ganz andere Deutung des modernen Songs, eine die ihn loslöst vom Ephemer-Zeitgeistigen und im Sinne des Zeitlosen interpretiert. Und um genau diese geht es auch Musiklegende Bob Dylan in seinem neuen Buch, einem Werk das so eigenwillig ist wie der Künstler selbst. Für die Entwicklung der titelgebenden Art von Liedern - insbesondere in lyrischer Hinsicht -war Dylan selbst ja nun nicht ganz unmaßgeblich. Es wäre also durchaus ein naheliegendes Unterfangen gewesen, wenn „His Bobness“ in seinem neuen Buch (sein erstes seit Chronicles: Volume One von 2004, eine Volume Two folgte –typisch für ihn- bislang nicht) eine Art Biographie in Songs oder eine Retrospektive auf sein Schaffen entworfen hätte: doch um seine eigenen Werke geht es in diesem Buch gar nicht - anders als es das ein wenig unkreative Cover der deutschen Ausgabe suggeriert. Auf dem Titelbild der US-Version sieht man Eddie Cochran, Little Richard und die weitgehend unbekannte weibliche Rock N´ Roll Musikerin Alis Lesley, was dem Kern der Buch-Thematik einer popkulturellen Pastiche gleicht, weitaus näher kommt.
In einer Reihe von (Kurz-)Essays beleuchte der Autor 66 von ihm ausgewählte Aufnahmen. Ähnlich breit gefächert wie Dylans letzte Alben, in denen er sowohl den Crooner als auch den Chicago Blues-Shouter gab, beleuchtet Dylan Songs von Künstlern wie Elvis Presley, Little Richard, Bobby Dare, Little Walter, Frank Sinatra oder Elvis Costello. Dies gleicht einem Querschnitt vornehmlich amerikanischer Musik mit apokryphen wie bekannten Songs, viele davon emblematisch für eine musikalische Zeitenwende, als Songs nicht mehr nurbloße Unterhaltung waren. Naturgemäß ist diese Liste äußerst subjektiv, , über Geschmack lässt sich auch bei Dylan nicht streiten, vieles was gemeinhin als revolutionär angesehen wird, kommt bei ihm gar nicht vor - Beatles-Fan ist er beispielsweise nicht.
Am besten ist Dylans Werk immer dann wenn er als Musikologe Tangenten schlägt und wie ein analoges Wikipedia Querverbindungen herstellt. Politische Korrektheit oder gar Rücksicht auf eine bestimmte Art des Feuilletons ist seine Sache dabei nicht. Er schnoddert und knarzt-so wie in seinen Spätwerken, Es ist leicht sich beim Lesen seine unverwechselbare Stimme vorzustellen, wie er in dem ihm eigenen Sprachrhythmus quer durch die Musikgeschichte von London über New York bis Nashville rezitiert, zitiert und orakelt– die deutsche Übersetzung stößt hier an ihre Grenzen.Dylans Schreibweise gemahnt dabei stellenweise an die harte, knappe geradezu existenzialistische Prosa der großen amerikanischen Erzähler, in ihren teils freien Assoziationen lediglich zwei Schritte von der Cut Up-Technik William S. Burroughs entfernt.
In einigen Kapiteln entwickelt dieses Buch einen eigenen Sog, am schwächsten ist es wenn Dylan auch vor totalen Allgemeinplätzen nicht zurückschreckt, die sich wie Liner Notes oder eine Radiomoderation lesen. Manche seiner Analysen sind zudem wohl ironisch gemeint und mischen Fakten mit Fiktion als wäre dieses Buch ein Companion-Band zu Martin Scorseses „Rolling Thunder Revue“-„Doku“. Der Leser erfährt so recht wenig bis gar nichts über die Mechanismen des Songwriting oder gar die Philosophie und Architektur der Songs. Insofern ist dieses Buch eher ein Philosophieren über moderne Songs.
Einen weiteren Literaturpreis wird Dylan für dieses Werk wohl nicht erhalten, dafür hat man bei Greil Marcus oder David Hepworth fraglos schon niedergehende Analysen gelesen. Dennoch ist dies ein kurzweiliger Streifzug durch prägende Jahrzehnte der Musikhistorie und die Einflüsse, die Dylan selbst inspiriert und begeistert haben - als er noch Robert Zimmermann hieß und in Duluth, Minnesota lebte. In seinen besten Momenten ist dies eine leidenschaftliche Lobeshymne auf die Kraft jener Songs die lange vor der er großen Gleichförmigkeit der Jetzt-Zeit entstanden.
Bob Dylan - Die Philosophie des modernen Song, erschienen bei C.H. Beck
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