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Des Gefühls dass hier gerade eine richtiggehende Wachablöse stattfindet kann man sich nicht erwehren. Auch weil Quentin Tarantino, jener Regisseur, der das moderne Kino und dessen (Bild-)sprache in den letzten 30+ Jahren wie kein zweiter geprägt und verändert hat, nun mit seinem schon länger angekündigten Rückzug aus Hollywood ernst macht. Nach 10 Filmen soll Schluss sein, das lässt nun nur noch einen finalen Film übrig, der sich gerade in der Vorbereitungsphase befindet. Oft hat QT in Interviews davon gesprochen, dass Regisseure nicht besser werden und es einen gewissen „Tipping Point“ gibt, an dem die Qualität ihrer Filme merklich nachlässt - die Anschauungsbeispiele hierfür liefert die lange Geschichte des Kinos, die Tarantino so gut kennt wie wenig andere. Obwohl man beim Kultregisseur bei weitem nicht von schwindender Kreativität sprechen kann, hat er letztlich schon alles erreicht und auch das Hollywood 2.0 hat nicht mehr viel mit jenem Ort gemein, dem er in den Neunzigern eine bitter nötige Adrenalinspritze verabreichte.
Dieses wohl wirklich letzte Kinoprojekt (potentielle Serienproduktionen dürften nicht nur Gerüchte, sondern eine realistische Zukunftsoption sein) wird 1977 spielen und eine historische Persönlichkeit , die aber nichts zu den bekannten Protagonisten der damaligen Zeit zählt, als eine der Hauptfiguren haben und - hier schließt sich der Kreis zur bislang jüngsten Release aus der Casa Tarantino - den Titel „The Movie Critic“ tragen. Denn als ebensolcher betätigt sich auch der Regisseur in seinem neuesten Buch „Cinema Speculation“, das ein Bindeglied zu seinem letzten Film sein dürfte.
Das Follow Up zur Novelization von „Once Upon A Time In Hollywood“ ist das erste Full Length Non-Fiction-Werk des Autors, im Zentrum stehen Essays über die Filme aus der Ära einer echten cineastischen Revolution, als das „New Hollywood“ das im Studiosystem erstarrte „Old Hollywood“ ablöste. Es ist die Zeit als die Bilder schmutzig und die Hauptfiguren meist entweder gebrochen, Antihelden oder beides waren. Neue Erzählstrukturen, das Aufgreifen der Counterculture-Zeitströmungen veränderte die Art wie Movies gemacht und Stories erzählt wurden – sowohl in den großen Studioproduktionen als auch in den B-Movies. Es ist dies nicht nur die Zeit der Movie Brats wie Martin Scorsese, Steven Spielberg oder Brian De Palma sondern auch die Zeit des cineastischen Sozialisation Tarantinos. Beleuchtet werden Werke, die ihn nie losgelassen haben, wie etwa John Boormans „Deliverance“ oder John Flynns „Rolling Thunder“, Don Siegels „Dirty Harry“, Sam Peckinpahs „Getaway“ oder Martin Scorseses „Taxi Driver“. In einem Gedankenexperiment nicht unähnlich zu den Alternate History-Elementen in „Inglourious Basterds“ oder „Once Upon A Time In Hollywood“ spekuliert Tarantino wie „Taxi Driver“ wohl ausgesehen hätte, wenn Brian De Palma ihn directed hätte.
Als Filmkritiker trat Tarantino schon in Beiträgen für die Website seines „New Beverly Cinema“ sowie für den „Video Archives“-Podcast mit seinem Freund Roger Avary in Erscheinung. Es ist eine weitere Rolle für den Mann der Schauspieler, Auteur, Autor und nun auch Analyst und Historiker ist. Das später bekannte Filmregisseure zunächst als Filmkritiker gerabeitet haben ist in der Geschichte des Kinos gar nicht so selten: Die Gründungsväter der Nouvelle Vague François Truffaut, Claude Chabrol, Éric Rohmer, Jacques Rivette und Jean-Luc Godard waren vor ihrem Durchbruch für die „Cahiers Du Cinema“ tätig. Auch Peter Bogdanovich oder Dario Argento schrieben zunächst Film-Reviews. Der umgekehrte Weg, also dass sich Regisseure nach ihrem Durchbruch öffentlich in filmkritischer Manier mit den Werken ihrer Zeitgenossen auseinandersetzen ist weitaus seltener. Truffaut tat dies in „Mr. Hitchcock wie haben sie das gemacht“ und „Die Filme meines Lebens“. Zu letzterem Werk werden auch bei der Lektüre von Tarantinos Buch Assoziationen wach. Bloß dass Truffaut eher nicht die Atmosphäre eines nur von Schwarzen besuchten Kinos bei einer frenetisch gefeierten Vorführung eines „Blaxploitation“-Films aufgesogen hat oder die Klimax von „Taxi Driver“ mit einem kollektiven Orgasmus für das Publikum verglichen hätte.
And that´s the thing, man: Tarantino hat hier - wie könnte es anders sein - einen erfrischend unorthodoxen Filmkritik-Band veröffentlicht. Das für derartige Bücher ungewöhnliche, dynamische Tempo (Rückblenden und wilde Tangenten) sind für derartige Werke ungewöhnlich, für den Autor jedoch typisch. Was QT mit Truffaut gemeinsam hat, ist die Verknüpfung lebensgeschichtlicher Elemente und Kunstkonsum. Denn „Cinema Speculation ist nicht nur ein mit Trivias und Querverweisen gespicktes Werk, sondern auch ein autobiographisches - beinahe ein biographischer Entwicklungsroman. War „Once Upon A Time In Hollywood“ schon QTs „Memory Piece“ so geht er hier nun noch einen Schritt weiter. Der erwachsene Tarantino - nun selbst zweifacher Familienvater - erinnert sich an seine Kindheit, die schon früh maßgeblich von Filmen geprägt wurde.
Ein allzu oft übersehener Aspekt in den Filmen Tarantinos ist ihr hohes Maß
an Emotionalität und Sensitivität, ein Element dass gerade in den bittersüßen
Elementen von „Cinema Speculation“ zutage tritt, bei der Suche nach Vaterfiguren
oder den Enttäuschungen die der kleine Quentin erlebte, etwa durch Floyd einem
Ordell-Robbie-artigen Vagabunden, der zwar seine Film-Faszination teilte, sich jedoch
nicht als verlässlicher Kumpel für den Kinobesuch erwies.
In „Cinema Speculation“ geht es Tarantino oft ums Close-Up nicht um die Totale, Details stehen im Vordergrund, seien sie nun persönlicher Natur oder im Bezug auf „Filme seines Lebens“. Hier mischt sich Biographische mit Anekdotischem, Fakten über Klassiker und Kleinode mit alltäglichen Situationen, wie Diskussion über das eben gesehene auf dem „ride home“. In diesen Momenten wendet sich die Kamera von der Leinwand ab, fährt wie in einer Plansequenz heraus aus dem Kinosaal, und fokussiert auf die Kulissen oder hält darauf auf „little q watching big movies“ und fängt dabei jene Momente ein, in der der spätere Kultregisseur geboren wurde. Beim Lesen hat man so immer wieder „Deja Vu“-Momente die einene zu QTs eigener Fiilmographie bringen sowie ein Gefühl, das man nur als „Foreshadowing“ bezeichnen kann und das prägend für zahlreiche Künstlerbiographien ist (siehe etwa auch Steven Spielbergs „The Fabelmans“): etwa wenn Tarantino einen Dialog mit seiner Mutter Connie, über das Ende von „Butch Cassidy And The Sundance Kid“, ein prototypisches Finale für die damalige Zeit, sowohl formal als auch ins einer Vermeidung eiens „Happy Ends– das legendäre „freeze frame“, das den Moment vor dem Tod der Hauptfiguren festhält – und der Meinung ist, anstatt das blutige Schicksal der von Robert Redford und Paul Newman verkörperten Figuren nicht zu zeigen - „they shoulda shown it“
„Cinema Speculation“ ist ein Fest für Filmfans - allerdings eines, bei dem sich nur jene amüsieren werden, die zu den Cracks und Auskennern gehören und so über einen reichen Wissensschatz in Sachen Movie History verfügen um den intertextuellen Analysen Tarantinos auch folgen können. Dieser hat ein Werk geschrieben, dass so meta und leidenschaftlich ist, wie seine Filme; das Buch eines Mannes, den die Passion für die bewegten Bilder nie losgelassen hat und dessen Leben und Werdegang letztlich selbst wie der Stoff einer märchenhaften „Es war einmal in Holylwood“-Erzählung anmutet.
Cinema Speculation von Quentin Tarantino, erschienen bei Harper