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Credit
Coverbild: © Universal Music
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Mit „Blue
& Lonesome“ veröffentlichen die Stones genau jene Platte, auf die echte Fans schon seit
Jahrzehnten warten: ein reines Blues-Album vom Anfang bis zum Schluss. Die
Faszination für die Protagonisten des Genres hat Mick Jagger, Keith Richards,
Charlie Watts und Ronnie Wood nie losgelassen. Diese Platte ist nun die
Verneigung von Musikern, die längst ihrerseits Legendenstatus erreicht haben,
vor den Idolen ihrer Jugend.mDer erste Vorabtrack
der Platte, „Just Your Fool“, ließ heuer schon die Erwartungen hochschnellen
und das Endprodukt „Blue & Lonesome“ - benannt nach dem gleichnamigen
Little Walter-Klassiker - hält nun alle Versprechungen ein.
Aufgenommen
in nur drei Sessions vor genau einem Jahr im Dezember 2015 besteht das Album
aus 12 Covern von Blues-Klassikern die von Legenden wie Harmonika-Pionier
Little Walter, Howlin´ Wolf, Otis Rush, Johnny Taylor , Eddie Taylor, Lightnin´
Slim, Jimmy Reed oder Magic Sam eingespielt wurden ( interessanterweise findet
sich in der Tracklist aber kein Muddy Waters-Song...). Die Spontanität mit der bei den puristischen
Sessions ohne Overdubs operiert wurde, merkt man der Platte total an - vom Opener
an gibt es hier einen unglaublichen Drive, wie er typisch für die klassischen
Blues Aufnahmen der 50er war.
Überhaupt
ist „Blue & Lonesome“ mit beinahe an klassische Musik gemahnender
Konsequenz vintage-korrekt und authentisch. Die Songs sind - wie einst bei
Chess Records- kurz und knapp gehalten, hier wird nicht lange gejammt oder
soliert. Die Arrangements sind in ihrer instrumentellen Dichte meist sehr nah
an den Originalen - das vorherrschende Prinzip von „Blue & Lonesome“ ist nicht die
Re-Interpretation oder experimentelle Umdeutung des historischen Ausgangsmaterials
wie beim Sixties British Blues Rock-Boom sondern die höchstmögliche Original-
und Werktreue - ohne dabei allerdings den typischen Stones-Touch vermissen zu
lassen.
Jagger,
Richards, Watts und Wood haben ihren ganz eigenen Groove - nur ganz wenige vermögen
den Blues so zu spielen wie die Stones. Es sind genau diese Eigenheiten, die
die Band so unverwechselbar machen - ob es die „Jaggerisms“ bei den Vocals sind,
die von ganz ganz unten raufgezogenen Licks Richards oder Woods oder Watts, der im einen Moment minimalistisch den
Takt gibt nur um im nächsten Moment mit Fills die Fieberkurve raufzutreiben.
Der
Shuffle bleibt hier nicht lediglich eine Rhythmus-Art - er lebt richtiggehend,
atmet geradezu...es ist ein vor und zurück, ein Push & Shove, das in seiner
Laszivität, einst Moralapostel auf die Barrikaden brachte. Während eines Zwölf-Takte
Schemas entfacht die Band so eine mitreißende Dynamik - mal nehmen sie sich zurück, werden abrupt etwas langsamer und leiser nur um im nächsten Moment
dann plötzlich brüllend laut
vorzupreschen. Die Mikrofone ächzen förmlich unter diesen Lautstärkeattacken,
wenn der Shuffle plötzlich von einem köcheln zu einem Orkan anschwillt. Die
„Tape Saturation“, also die warme, vintage
Röhren-Sättigung - Merkmal vieler klassischer Aufnahmen der Musikgeschichte- ist
hier äußerst präsent.
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Coverbild: © Universal Music
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Bei zwei Tracks
ist auch ein besonderer Gast mit dabei: Mr. Slowhand Eric Clapton - Es gibt
die Geschichte, dass EC einst den Job, den heute Ronnie Wood übernimmt, hätte haben
können - Mit seinen liquiden Slide-Gitarren-Licks bei „Everybody Knows About My
Good Thing“ und eruptiven Soloeinlagen, wie aus einem Chess Records-Azetat
gerissen bei „I Can´t Quit You Baby“, zeigt die Gitarrenikone aus Surrey erneut,
dass er und die Steine ein perfektes Team abgeben.
Dass Frontman
Jagger ein grandioser, tief in der Tradition der Pioniere des Mississippi
Saxophone stehender Harp Spieler ist war schon vor „Blue & Lonesome“ bekannt
- hier bekommt er allerdings nicht nur als Singer das Spotlight sondern in
gesteigertem Maße auch als Solist an der Harmonika - in den zahlreiche instrumentalen
Solospots bringt er die Kammern seines Harp zum Glühen. Überhaupt steht auf
dieser Platte gerade Jagger besonders im Fokus - als Zuhörer entdeckt man gar unbekannten Nuancen seiner Stimme; der 73-jährige
Jagger klingt hier stellenweise wie der junge Buddy Guy.
Im Laufe
ihrer Karriere waren die Stones nicht immer reine Genre-Puristen, sondern griffen
öfters auch erfolgreich zeitgenössische Trends (siehe etwa Disco in den
70ern) und prägten sie in weiterer Folge
mit - nicht immer entstanden dabei ihre stärksten Songs.
Bei „Blue
& Lonesome“ gehen die Steine allerdings einen gänzlich anderen Weg - „Blue
& Lonesome“ ist eine erfrischend ungeschliffene und im besten Sinne so gar
nicht zeitgemäße Platte, mit der Mainstream-Stones-Fans, die lediglich die
Nummern diverser Greatest Hits Collections kennen, unter Umständen wenig anfangen
werden. Hardcore-Fans wissen jedoch - im
Herzen waren sie immer schon eine Chicago Blues Band, „Blue & Lonesome“
subsumiert so letztlich die gesamte bisherige Karriere dieser Band.
Was „From
The Cradle“ 1994 für Eric Clapton war, ist „Blue & Lonesome“ heute für die
Stones - von diesen Aufnahmen führt ein
direkter Link zu den Anfängen der dienstältesten Rock N´Roll-Band - es ist ein
Sample ihrer DNA. Zum
jetzigen Zeitpunkt sind die Stones älter, als es die meisten Legenden, denen
hier die Reverenz erwiesen wird, zu ihrem Todeszeitpunkt waren - doch noch
immer sprühen die Steine vor geradezu jugendlicher Energie, wenn sie diese
Songs spielen können. Ein mitreißendes „old school“-Album, das nicht nur zu
ganz großen Blues-Scheiben der letzten Jahre zählt sondern insgesamt betrachtet
die beste Stones-Platte seit 1974 darstellt.