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Credit Coverbild: © Prestel Verlag |
Mickey Mouse, Onomatopoesie, knallige Farben, markante Ben-Day Dots, Don Draper-artige Business-Supermänner, archetypische Blondinen und Raketen als Zeichen des Space Age der Eisenhower-Ära. Die Kunst Roy Lichtensteins, einem der Hauptvertreter der Pop Art, die den Kunstmarkt ab den 50ern revolutionierte, ist nicht nur "as american as apple pie", sondern auch vollkommen unverwechselbar. Trotz seiner Omnipräsenz auf Postern und Merchandising und einer vermeintlich leichten Zugänglichkeit, die ihn selbst bei Kunstlaien populär gemacht hat, verbirgt sich eine ungewöhnliche Tiefe in seinen Werken, in denen er Kommerz und Wegwerfkultur ebenso mythisch überhöhte wie hinterfragte.
Im letzten Oktober wäre Lichtenstein, dessen Karriere erst mit Ende Dreißig abhob, 100 Jahre geworden. Anlässlich dessen fokussiert ein neuer Bildband, der begleitend zu einer großen Ausstellung in der Wiener Albertina erschienen ist, auf sein ungemein vielschichtiges Schaffen und versucht neben einer klassischen „Greatest Paintings“-Werkschau auch weniger bekannte Facetten dieses einflussreichen Künstlers zu beleuchten - und so auch den Mann hinter den überlebensgroßen Kunstwerken zu zeigen.
Die Pop Art, einst als Gegenbewegung zum oft als intellektueller angesehenen abstrakten Expressionismus gegründet, wandte sich Themen zu, die eher im Trivialen angesiedelt waren. Damit spiegelte sie die neue Lebensrealität der Konsumgesellschaft im wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg wider und kreierte eine neue Bildsprache. Personen und Sujets aus der Populärkultur sowie Alltagsprodukte konnten nun zum Kunstwerk werden. Lichtenstein selbst sagte einmal, dass ein großer Teil der menschlichen Kommunikation auf die eine andere Weise von Werbung beeinflusst wird - dies ist zwar typisch für den Zeitgeist der "Mad Men"-Epoche, mutet angesichts der heutigen Medien-Kultur allerdings auch prophetisch an.
Zeitgenössische Kunstkritiker stieß all dies jedoch oft vor den Kopf. Berüchtigt ist etwa die Headline eines Times-Artikels, der fragte ob Lichtenstein „The Worst Artist in the U.S.?" sei. Heute wundert man sich ob solcher Fehlinterpretationen gehört doch die von Künstlern wie Lichtenstein propagierte Verschmelzung von Low und High Art längst zum Standard in den Galerien. Allerdings muss man sich vergegenwärtigen wie radikal anders Lichtensteins Kunst damals war und wie sehr er in den 50ern mit Sehgewohnheiten brach. Comics hatten zu jener Zeit einen völlig anderen Stellenwert als heute. Weit davon entfernt als Kunst angesehen zu werden, wurden diese Heftchen von Älteren oft belächelt, ein Wegwerfprodukt für Kids (nicht viele hatten etwa die Voraussicht die erste DC Comics oder Action Comics Ausgabe mit den ersten Auftritten von Batman oder Superman, die heute für Unsummen gehandelt werden, aufzuheben). Lichtenstein nahm die kleinen Comic-Panele, blies sie auf und machte sie zum Monument. Durch den geradezu filmischen Zoom auf Hyper-Details (etwa Münder oder tränende Augen) übersteigerte er die ohnehin plakative Bildsprache der Comics noch zusätzlich und arbeitet so neue Interpretationsmöglichkeiten heraus. Hinzu kommt sein modernes Spiel mit Intertextualität, wenn er etwa bewusst Werke von Pablo Picasso oder Piet Mondrian zitiert und sie mit seinem eigenen Stil verschmilzt.
Diese Zeitlosigkeit und (Post-)Modernität ist es auch, die in dieser Jubiläums-Monographie besonders gut herausgearbeitet wird. In die Tiefe gehende Essays setzen sich etwa mit Lichtensteins Verbindung zur Popkultur, seinem Frauenbild oder seinen "Impersonal Paintings" auseinander. Zahlreiche qualitativ hochwertige Abbildungen zeigen die Entwicklung seines Stils von den persönlichen Sourcebooks über Frühwerke hin zu den allgemein bekannten Werken. Die Herausgeber achteten dabei sehr genau darauf auch darauf Arbeiten zu zeigen, die man mitunter selten sieht, wie etwa die "Nudes" oder Skulpturen. Der Bildband zum "Centennial" wird dadurch zu einer der bisher komplettesten Werkschauen eines Künstlers, der die ewige Frage von "Kunst oder Kommerz" auf seine ganz eigene Weise beantwortete.
Roy Lichtenstein von Gunhild Bauer (Hrsg.) und Klaus Albrecht Schröder (Hrsg.), erschienen im Prestel Verlag