Dienstag, 24. November 2020

BRUCE SPRINGSTEEN – LETTER TO YOU: Der Boss im Haus der 1000 Gitarren

Credit Bild: © Danny Clinch             Sony Music
Hochwertige Beständigkeit ohne sich dabei selbst zu plagiieren oder allzu oft zu wiederholen: es sind genau diese Tugenden welche  die lange Karriere des Bruce Springsteen prägen, seit er Mitte der Siebziger als die „Zukunft des Rock N´ Roll“ ausgerufen wurde. Was man von einem neuen Album des Boss erwarten kann, weiß man also eigentlich schon vorher, denn selbst die wenigen schwächeren Alben des Mannes aus New Jersey zeigten einen überaus treffsicheren Songwriter. Das jüngste, mittlerweile 20. Studioalbum „Letter To You” hält dennoch einige kleine Überraschungen parat. 

Denn es ist das erste mit seiner E-Street Band seit 2014 und auch thematisch geht es in eine andere Richtung als man annehmen konnte: Gerade im Election Year hätte man mit einer politischeren Platte gerechnet -  doch „Letter To You“ ist nicht die große Abrechnung mit Donald Trump geworden. Springsteen, immer schon hochpolitischer Künstler hält sich auffallend  zurück- wenn man mal von der durchaus als Seitenhieb aufs Oval Office zu verstehende Textzeile „the criminal clown has stolen the throne“ im Standout-Track  „House Of 1000 Guitars“ absieht.

Apropos 1000 Gitarren: Springsteen findet auf „Letter To You“ zum Sound früherer Alben zurück. Experimente waren keine zu erwarten, auf dem routiniert-unaufgeregten Album  dominieren zwei Dinge: ein paar gute (Song-)Geschichten und vor allem der typische E-Street-Klang  mit allem was dazu gehört: die dichten, fast schon überorchestrierten Wall Of Sound- Arrangements, durch die Dirigent Springsteen seine Band geleitet; die verspielten Klavierpassagen als Intro zur Dramatik und der großen Geste in Lyric-Form; die warmen Akustikgitarren aus den Eingeweiden des Dust Bowl – der langgediente Fan wird sich hier sofort heimisch fühlen, auch wenn der 2011 verstorbene Saxophonist Clarence Clemons nach wie vor eine Lücke hinterlässt.

Credit Bild: © Sony Music
Die Aufnahmen zur Platte entstanden in äußerst kurzer Zeit  im Springsteen´schen Home Studio in New Jersey. Der Boss sagt über die Tage im Studio: „Ich liebe die Emotionalität von ‚Letter To You‘“…und ich liebe den Sound der E Street Band, die komplett live im Studio spielt, so wie wir es noch nie zuvor gemacht haben, ganz ohne Overdubs. Wir haben das Album in nur fünf Tagen gemacht und es stellte sich als eines der größten Aufnahmeerlebnisse heraus, die ich je hatte.“  

Springsteen war immer schon Storyteller, ähnlich wie Bob Dylan in literarischer Tradition verhaftet - hier läuft er teilweise zu Hochform auf. Wie immer sind die Geschichten aus „Gods Own Country“ das Hauptthema seiner Songs Beinahe glaubt man das  Alter Ego Springsteens mit laufendem Automotor vor der Veranda seiner Angebeteten stehen zu sehen, ganz so wie in seinem ersten großen Opus „Thunder Road“. Ganz anknüpfen an solche Meilenstein können die Songs von  „Letter To You“ zwar nicht – doch verhält es sich mit diesem Album wie mit dem neuen Buch von Star-Autoren wie Philip Roth oder T.C. Boyle: dem Boss ist vielleicht nicht der nächste „große amerikanische Roman“ gelungen, wenn man sich darauf einlässt, entdeckt man jedoch nicht nur eine sehr gute Ergänzung der Springsteen-Diskographie sondern packende Geschichten aus dem so persönlich wie universellen  Amerika der Seele. 

Dienstag, 17. November 2020

BRUEGEL - DAS VOLLSTÄNDIGE WERK


Die Dulle Griet (auch: Die Tolle Grete), 1563  Antwerpen, Museum Mayer van den Bergh        Taschen
Über sein genaues Geburtsjahr herrscht ebenso Uneinigkeit wie über weiterführende Details seiner Biographie: Pieter Bruegel der Ältere ist nicht nur ein faszinierendes Mysterium der Kuntgeschichte um dessen Leben und Wirken sich der Mantel der Ungewissheit hüllt sondern auch nach wie vor einer der populärsten Superstars der alten Meister: Als ungeschminkter Chronist der damaligen Lebensrealität zeigte er in seinen aufwändigen, detailverliebten Gemälden das Leben im Herzogtum Brabant in all seiner Armut und Derbheit. Gleichzeitig war der „Bauernbruegel“ in seiner Kunst aber auch ein apokalyptischer Visionär dessen Bilder ihn  als legitimen Nachfolger des „Alptraummalers“ Hieronymus Bosch etablierten  - siehe etwa "Die Dulle Griet" am Beginn dieses Artikels oder auch das heute noch unheimlich anmutende  „Der Triumph des Todes“, beides Meisterwerke Bruegels die einem Still aus einem Horrorfilm gleichen.
Der Turmbau zu Babel (Wiener Fassung), 1563 Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie
Copyright: © Kunsthistorisches Museum, Vienna, Photo: Luciano Romano
Im Taschen Verlag  ist eine umfangreiche Monographie über den großen Meister erschienen. Dieser zeigt im XL-Format in der typischen Luxusausführung des Kölner Verlags die gesamte Bandbreite des Schaffens des Renaissancekünstlers.
Der Engelsturz (auch: Der Sturz der rebellierenden Engel), 1562 Brüssel, Royal Museums of Fine Arts of Belgium
Copyright: © Royal Museums of Fine Arts of Belgium, Brüssel / image by Google
Der Vorteil dieses 492 seitigen Mammutwerks ist natürlich, dass man durch die hochwertigen Reproduktionen die extrem facettenreichen Bilder ganz genau studieren kann. Immerhin handelt es sich bei dem flämischen Künstler um einen jener Maler der den Betrachter oft mit seinen Darstellungen förmlich bombardiert. So erschließt sich Manches erst bei genauem Studium der teils realistischen, teils surrealen Darstellungen.
So man also nicht das Glück einer Privatführung im Museum hat wird man die detailreichen Werke Bruegels  wohl kaum genauer unter die Lupe nehmen können als mit diesem Prachtband. 
Credit Bild: © Taschen Verlag
TASCHEN
Pieter Bruegel. Das vollständige Werk
Jürgen Müller, Thomas Schauerte
Hardcover mit Ausklappseiten, 492 Seiten 
€ 150