Freitag, 25. Oktober 2019

TON, STEINE, SÄGESPÄHNE: THE ROLLING STONES - ROCK AND ROLL CIRCUS


Credit Bild: ©  Michael Randolph   Universal Music
Dezember 1968: London swingte noch immer – nun jedoch stark psychedelisch induziert.
Die Rolling Stones befinden sich in einer Umbruchphase, um das neue-Album „Beggars Banquet“ - ein Werk, das als eines der quintessenzielen Bluesrock-Alben in die Annalen der Musikgeschichte eingehen sollte-  zu promoten konzipiert Mick Jagger ein BBC TV-Special das den Zusehern ein Konzert abseits konventioneller Gigs bieten soll. Zusammen mit Regisseur Michael Lindsay-Hogg, der für die Band schon zuvor an Promovideos gearbeitet hatte, wird das ebenso ungewöhnliche wie ambitionierte Konzept einer Verbindung von Zirkus und Rock N´ Roll entworfen. Es ist ein Unterfangen wie es typischer  nicht sein könnte für die experimentierfreudige Sturm & Drang-Phase der Spätsechziger: die Rock Show ist hier nicht nur ein Spektakel sondern ein  ambitioniertes Kunstprojekt.

Neben den Stones trat ein veritables „Who is Who“ von Rock Royalty aus ihrem Umfeld im Rahmen des "Cirque de Stones" auf: Eric Clapton, damals direkt nach dem Ende von Cream,  formierte für diesen Film zusammen mit John Lennon Keith Richards (am Bass!) und Mitch Mitchell von der Jimi Hendrix Experience die All Star-Band The Dirty Mac. Mick Jaggers Freundin Marianne Faithfull war ebenso dabei wie The Who, Taj Mahal, der Geiger Ivri Gitlis, Yoko Ono und die bis dahin noch recht unbekannten Jethro Tull, nicht nur mit dem manischen Flötisten Ian Anderson sondern auch mit einem gewissen Tony Iommi an der Gitarre, der nur ein Jahr später Black Sabbath gründen sollte. Zwischen den Auftritten gibt es revue-artige, teils skurrile Dialoge und Nummern die an einen Acid-Trip während einer Roncalli-Aufführung gemahnen.

„Rock And Roll Circus“ markierte den letzten öffentlichen Liveauftritt von Brian Jones mit den Stones, nur knapp ein halbes Jahr später war der geniale Musiker tot. Ende 1968 hatten er und seine Bandkollegen sich bereits zunehmend entfremdet, die Verschiebung im band-internen Machtgefüge war nicht mehr zu übersehen: so vollzog sich hier der Shift weg von Brian Jones , der auch bei den Performances im Circus  schon stark von seinen ehemaligen Bandfreuden distanziert wirkt.
Obwohl diese Show in die „Beggars Banquet“-Phase fällt atmet sie insgesamt  noch stark den Geist des „Sgt.Pepprs“-Rivalen „Their Satanic Majesties Request“. Die meisten Performances im Zirkuszelt wirken recht roh, versprühen jedoch einen ganz eigenen Charme – ziemlich „elegantly wasted“. Die Stones präsentieren sich hier nicht in jener Form wie man sie etwa von „Gimme Shelter“ oder "Ladies And Gentlemen“  her kennt.
Credit Bild: ©  Michael Randolph   Universal Music
Mit dem Endergebnis war Mick Jagger seinerzeit angeblich nicht sehr zufrieden, weshalb der Film nie zur normalen Ausstrahlung kam und jahrzehntelang in der Versenkung verschwand, Stones-Fans werden sich an den „Cocksucker Blues“-Film erinnert fühlen. Erst 1996 wurde „Rock And Roll Circus“ schließlich doch noch veröffentlicht wurde – zum Glück, ist er doch eine regelrechte Zeitkapsel. Denn was man hier sieht ist nicht nur aufgrund der bunten Farben „as sixties as it gets“, psychedelisch, wild, anarchisch. Dass Yoko Ono auch einen eigenen Auftritt bekommt – es passt perfekt zum Treiben in den Sägespähnen.
Phasenweise wähnt sich der Zuschauer in der Theateraufführung jener Kommune die Wyatt und Billy im ´69er Kultfilm „Easy Rider“ besuchen. Wäre diese ungezügelte Show damals im britischen Fernsehen gelaufen, sie hätte wohl nur die reaktionären Ressentiments der konservativeren Bevölkerungsschicht gegenüber den Hippies und Rockern bestätigt.
Bei „Sympathy…“ etwa erinnert die Performance an modernes Theater, Jagger singt sich in einen regelrechten Wirbel, am Schluss reißt er sich das Shirt vom Leib und gibt mit entblößtem Oberkörper alles – „What´s my nameeeeeeeeeeeee?"
Credit Bild: ©  Universal Music
Die nun neu erschienene Limited Deluxe Edition dieses Kleinods aus der Stones-Diskographie erweitert das ursprünglich 1996er-Release beträchtlich und zählt allein schon aufgrund ihrer äußerst liebevollen Aufmachung zu den schönsten Reissues der letzten Zeit:
 „Rock And Roll Circus“ kommt als Mediabook mit dickem Essay-Booklet und gleich 4 Discs in reich bebilderten Ausklappfoldern -  das dürfte  jeden Fan und Sammler begeistern.
Disc 1 und 2 bieten die gesamte Show inklusiver bislang ungehörter und unveröffentlichter Outtakes: Disc 3 und 4 bieten dann das audiovisuelle Konzertdokument in SD- als auch HD-Form, also sowohl als DVD als auch als Blu ray.
Das neue HD-Master holt sicher das Maximum aus den Vintage-Aufnahmen heraus - klar, man merkt aus welchem Jahr der Film ist, nicht nur wegen der eigenen Art der Kameraeinstellungen – aber die Qualität ist tadellos. Die ans Psychoaktive grenzenden Farben knallen nur so und auch der Klang ist sehr klar und detailreich.
Kleines Detail für alle Gitarren-Freaks: Auf „Rock And Roll Circus“ hört und sieht man sowohl Keith Richards ikonische „Sympathy For The Devil“-Les Paul Custom als auch Eric Claptons legendäre „Royal Albert Hall“- ES-335.

Die 2019-Neuauflage ist fraglos die ultimative Art den eigentümlichen Charme in der Manege des „Rock And Roll Circus“ aufzusaugen: auch wenn diese Revue seinerzeit nicht alle Ambitionen erfüllen konnte, ist sie dennoch ein echtes Zeitdokument mit teils faszinierenden historischen Aufnahmen.