Weder
vorher noch nachher gab es einen Präsidenten wie ihn:
Keiner
war populärer, keiner wurde so abgöttisch-verklärend geliebt und kein
anderer Politiker verkörperte die diametral entgegengesetzten Welten des
mondänen Jetset und der beinharten Weltpolitik so wie der 35. Präsident der
USA: Heute wäre John F. Kennedy 100 Jahre geworden – und sein Mythos hat bis heute
nichts von seiner Faszination eingebüßt – trotz oder auch wegen der
Schattenseiten des Polit-Superstars.
Zeit
für eine popkulturelle Spurensuche und den Versuch einer Erklärung von Kennedys bis heute anhaltender Popularität aus einem nicht alltäglichen Blickwinkel.
Denn Kennedy und insbesondere sein Tod als Schlüsselmoment der 60er
beschäftigte viele Vertreter der Popkultur.
Flashback
zum 22.11.1963: Um Unterstützung und Gelder für seine Wiederwahl zu gewinnen,
befindet sich John Fitzgerald Kennedy - kurz JFK - auf Wahlkampftour in einem
der konservativsten Bundesstaaten der USA: Texas. Kein einfaches Terrain für
den Demokraten. Denn im Süden ist der 46-jährige auch aufgrund seiner liberalen
Ansichten (u.a. zu den Bürgerrechten der Schwarzen) vielen ein Dorn im Auge. An
diesem Freitag steht eine Fahrt durch die Innen-stadt von Dallas - die Menschen
sollen ihr Staatsoberhaupt möglichst nahe sehen können - und eine Rede auf dem
Programm. Was als Routinetermin für den 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten
beginnt, endet in einer Tragödie: Noch bevor die Wagenkolonne JFKs ihr Ziel
erreicht, fallen am Dealey Plaza
drei Schüsse - abgefeuert aus dem Fenster eines Schulbuchlagers. Die Kugeln des
Schützen, Lee Harvey Oswald, verfehlen ihr Ziel nicht: Kennedy wird tödlich getroffen.
Oswald wird zwar noch am selben Tag gefasst, jedoch zwei Tage nach seinen
Schüssen auf das Staatsoberhaupt selbst ermordet.
Kennedy,
zu Lebzeiten schon ein moderner und medienaffiner Politiker,
wurde posthum zu einer Art popkulturellen Phänomen: er und sein Tod werden
immer wieder thematisiert - auch in Songs der Populärmusik, die zu den
frühesten Reaktionen auf den gewaltsamen Tod
des amerikanischen Hoffnungsträgers gehören.
Die
musikalische Auseinandersetzung mit den Geschehnissen begann schon unmittelbar nach
den fatalen Schüssen. Die Beach Boys Brian Wilson und Mike Love arbeiteten zu
dieser Zeit an dem Song „Warmth Of The Sun“, einer melancholischen Ballade, die
in deutlichem Kontrast zum sorgenfreien, fröhlichen Sound der Gruppe und ihrer
„Sommer, Girls und schnelle Autos“-Thematik stand, bis heute untrennbar mit JFK
verbunden ist und eine Art Tribute an ihn darstellt.
Das
Attentat auf JFK veranlasste auch Roger
McGuinn, Sänger und Gitarrist der Folk-Rock-Band The Byrds, dazu das alte
Traditional „He was A Friend Of Mine“ grundlegend neu zu bearbeiten und so
einen der bekanntesten Songs der Byrds zu kreieren. Einer Grabrede gleich arbeitete McGuinn in
die bestehenden Lyrics über den Tod eines Freundes die Geschehnisse vom 22.11.1963
ein: „His killing had no purpose, no reason or rhyme...He was in Dallas town...From
a sixth floor window a gunner shot him down...Though I never met him I knew him
just the same...Oh he was a friend of mine“.
Tief
getroffen von Kennedys Tod zeigte sich auch die schwarze Community, verloren
sie doch nicht nur ein Staatsoberhaupt sondern auch einen mächtigen Verbündeten.
JFK hatte sich in den noch immer von Rassismus geprägten Sechzigern als einer
der wenigen aktiv für Integration und Gleichstellung eingesetzt. Besonders in
der Blues-Szene wurden viele Nachrufe in Song-Form aufgenommen: Der berühmte Bluesman
Sleepy John Estes beispielsweise reagierte auf den Verlust mit dem Song „President
Kennedy (Stayed away too long)“ und sang „We lost the best President we´ve ever
had“. Der langjährige Pianist
der Muddy Waters-Band, Otis Spann, sang vom „Sad Day In Texas“ und als
1968 dann der Bürgerrechtler Martin Luther King in Memphis, Tennessee
erschossen wurde entstand der u.a. von Ray Charles, Marvin Gaye und Harry
Belafonte aufgenommene Song „Abraham, Martin and John“ - ein Tribute an Lincoln, King und
Kennedy, die sich alle drei für die Rechte der Schwarzen eingesetzt hatten und die
alle das gleiche Schicksal ereilte.
Gewalt
und die Frage, wer JFK tötete, spielten einige Jahre später in „Sympathy For The Devil“ der
Rolling Stones ebenfalls eine wesentliche Rolle. In den Lyrics des Songs tritt
der Teufel selbst als Ich-Erzähler auf und erklärt sich für Chaos und Leid im Laufe
der Weltgeschichte
verantwortlich. Noch
bevor die finalen Aufnahme-Sessions für das „Beggars Banquet“-Album (1968), auf
dem der Song erschien, abgeschlossen waren wurde auch JFKs Bruder, Senator Robert Kennedy, erschossen. Die Textstelle, bei der
Satan die Zuhörer fragt, wer Kennedy erschossen hat wurde daraufhin zu „I
shouted out: Who killed The Kennedys ? When after all it was you and me“
abgeändert.
Zehn
Jahre später erinnerte sich dann Police-Frontman Sting an seine Kindheit und
Jugend in „Born in the 50s“: „My mother
cried when President Kennedy died, she said it was the communists...but I knew
better“.
In
den 80ern nahm die direkte Beschäftigung mit dem Kennedy-Attentat in der Pop- und Rockmusik zwar etwas ab, der zunehmende zeitliche
Abstand führte jedoch nicht dazu, dass das einschneidende Ereignis aus den Songs
bekannter Künstler verschwand. Lou Reed erinnerte sich 1982 an den Tag, an dem er die News von Kennedys
Ermordung erfuhr ( „The Day John Kennedy died“) und der Hip Hop-Produzent
Steinski machte aus der News-Berichterstattung
zum Kennedy-Mord gleich einen ganzen Song: „The Motorcade sped on“ besteht aus
einer Reihe von sogenannten Samples. Über den Drum-Beat des Stones-Songs „Honky Tonk Women“ wurden rhythmisch Zitat-Schnipsel von
Anchorman-Legende Walter Cronkite, der 1963 über
das Ereignis berichtete, gelegt.
Axl
Rose, Frontman der Hard Rocker Guns N´ Roses, wiederum verdeutlichte im Antikriegs-Song „Civil War“ von
1991 die traumatisierende Wirkung, die die Schüsse vor „laufender Kamera“ auf
eine junge Generation hatten: „And in my first memories they shot Kennedy, and
I went numb when I learned to see“.
Im 5. Jahrzehnt
nach den Ereignissen in Texas schlüpfte
dann die junge,
amerikanische Sängerin Lana Del Rey im kontroversen Musikvideo zu ihrem „American Anthem“ (2012)
in die Rolle der Jacqueline Kennedy und stellte Teile des berüchtigten Zapruder-Films nach.
Credit Bild: © Henri Dauman/daumanpictures.com. All rights
reserved. Taschen Verlag
|
Dass
es vom JFK-Attentat Filmaufnahmen (siehe das vom Hobbyfilmer
Abraham Zapruder gedrehte, sogenannte
„Zapruder“-Video) gibt, ist auch ein Schlüsselaspekt, der begreifbar
macht, weshalb der im Amt
ermordete Präsident Gegenstand
so vieler Songs der Populärmusik ist.
Sein
gewaltsamer Tod war ein trauriges und schockierendes Medienereignis, an dem selbst jene, die nicht am Dealey Plaza in Dallas
standen durch die moderne Berichterstattung
„live“ Anteil nehmen konnten. Auch aufgrund
der Drastik der Fotos und Bilder vom Dallas-Attentat (in Verbindung mit den Verschwörungsvermutungen,
den offiziellen Untersuchungen oder Büchern über den Fall) brannte sich das
Ereignis besonders nachhaltig
ein. Hinzu kommt, dass sich selbst junge Menschen, teilweise aus der regierungskritischen 60er-Counterculture (der Gegenbewegung zum
Establishment), mit ihm
identifizieren konnten. War Kennedy doch ein Mann, der trotz Krisen
in seiner Amtszeit (Vietnam, Kuba und der Schweinebucht-Vorfall) eine
Identifikationsfigur war, die eine Antithese zum „alten, grauen“ Politikertypus darstellte.
Die
immense Popularität Kennedys schon zu seinen Lebzeiten ist auch darauf
zurückzuführen, dass er der erste Medien-Politiker war – der das Spiel mit
fernseh-wirksamen Symbolen wie kein zweiter beherrschte.
Auch wenn Enthüllungen
der Geschichtsforschung (Affären, Gebrauch von Medikamenten) ein ambivalentes
Bild der einstigen Lichtgestalt zeichnen, geht von Kennedy eine Faszination
aus, die bis heute anhält.
Auch dadurch ist
es zu erklären, warum selbst Artists einer neuen Generation (siehe Lana Del Rey), die
die Ereignisse damals gar nicht miterlebt
haben, JFK noch immer in ihrer Kunst thematisieren.
Credit Bild: © Hank Walker/Time & Life Pictures/Getty
Images Taschen Verlag
|
Was
Kennedy für die Menschen in den Sechzigern symbolisierte, wird auch in Norman
Mailers Klassiker-Reportage „Superman kommt in den Supermarkt“ nachvollziehbar
– einem Stück Journalismus-Geschichte, das passend zum 100. Geburtstag von „Mr. President“
vom Taschen Verlag neu aufgelegt wird. (und aus dem auch die Bilder dieses
Artikels stammen).
Mailers
Kennedy-Portrait ist ein geniales Essay – in den 60ern ursprünglich im
renommierten Esquire-Magazine erschienen – das die klassische Polit-Berichterstattung
erneuerte und auch einen wesentlichen Meilenstein für den New Journalism setzte,
der die Sixties und die kommende Dekade prägen sollte. Mailer – der einst
meinte, dass sein Portrait von JFK die Wahl entschieden hätte – lässt den Leser
unmittelbar teilhaben an der euphorischen Stimmung der early sixties in
Kennedys „Camelot“, dem Traum-Königreich der Vereinigten Staaten, teilhaben und
ist – nicht nur wegen des 100. Geburtstags – ein Lesetip für polit-und
geschichtsaffine Leser.
Credit Coverbild: © Taschen Verlag
|
Norman Mailer. John F. Kennedy. Superman kommt in den Supermarkt
Nina Wiener, J. Michael Lennon
Hardcover, 23,1 x 31,5 cm, 370 Seiten
Neuausgabe, € 29,99