Donnerstag, 1. Dezember 2016

Nicolas Winding Refns THE NEON DEMON Mediabook


Credit Coverbild: © Koch Films  Koch Media
Die naive Jesse (Elle Fanning) hat ihre rurale Heimat in Georgia verlassen um in Los Angeles als Model durchzustarten. Glücklicherweise bringt die unbedarfte Sechzehnjährige alles mit, was es braucht um in der Fashion-Welt erfolgreich zu sein: Sie verfügt nicht nur über ein unverbrauchtes, hübsches Gesicht sondern ist auch super schlank und großgewachsen. Doch da ist noch etwas, dass sie von ihren Model-Konkurrentinnen deutlich unterscheidet: Selbst abgeklärte Fotografen und abgehobene Designer fühlen sich scheinbar magisch zu ihr hingezogen - sie ist etwas Besonderes, hat das gewisse Etwas.  Dass Jesse so als No-Name aus dem Nichts kommend rasch Karriere im Business macht bleibt auch ihren nur scheinbar freundlichen Kolleginnen (u.a. Topmodel Abbey Lee ) nicht verborgen, denen alle Mittel recht zu sein scheinen, um Erfolg zu haben.



Credit Bild: © Koch Films  Koch Media

In seinem neuesten Film zeigt der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn das Innenleben der hermetisch abgeriegelten Parallel-Welt der Fashion-Industrie, die bis auf wenige Ausnahmen (man denke etwa an Mario Bavas Giallo „Blutige Seide“ von 1964 oder Irvin Kershners  „Die Augen der Laura Mars“ von 1978) als filmischer Handlungsort von Thrillern bislang weitgehend ungenutzt geblieben ist. Dieses unverbrauchte Setting dient Refn als Backdrop für einen der ungewöhnlichsten Filme der letzten Jahre - der gleichermaßen mit Genre-Konventionen wie mit Zuschauer-Erwartungshaltungen spielt.

Im bisherigen Gesamtwerk Refns liegt „The Neon Demon“ genau zwischen den Artfilm-Experimenten von „Valhalla Rising“ oder „Only God Forgives“ und dem kommerzielleren „Drive“. Wie schon bei diesen Vorgängerfilmen lässt sich nicht eindeutig festmachen, welchem Genre man Refns jüngstes Werk eigentlich zuordnen kann. Der Filmemacher vereint vielmehr mannigfaltige Elemente zu einer Tour De Force durch die unterschiedlichsten Filmgattungen: „The Neon Demon“ hat etwas von einem Thriller, gleichzeitig ist er aber auch ein Märchen, in dem die Hauptfigur wie einst Alice im Wunderland immer tiefer in eine surreale Welt eintaucht. Refn verwendet  aus dem Horrorfilm entlehnte Topoi genauso wie an den Experimentalfilm eines Alejandro Jodorowsky angelehnte Passagen. Sogar Exploitation - Einflüsse kann man ausmachen -  mit dieser wilden Mischung balanciert Regisseur Refn auf der feinen Linie zwischen unterkühlt intellektuellem Arthouse und rohem Grindhouse-Kino.



Credit Bild: © Koch Films  Koch Media

Der Zuseher denkt so unweigerlich an drei große Regisseure: Dario Argento Brian De Palma und Paul Verhoeven. An Argentos Meisterwerk „Supsiria“ und dessen „fairy tale gone wrong Thematik und wegweisende Farbgestaltung erinnert der wie aus einem Modemagazin gestaltete Abstieg Jesses in einen Alptraum des schönen Scheins. Die erste Einstellung gemahnt - ohne zuviel vorweg zu nehmen - an den Beginn von De Palmas „Body Double“, auch die Verbindung von elegischer Schönheit, sexueller Obsession und düsteren Violence-Elementen erinnert an den italo-amerikanischen Suspense-Meister. Refn führt gerade in den Dialogen seiner Figuren einen Meta-Dikurs über die Fashion-Welt an sich. Es ist ein Ort, an dem Schönheit der höchste Imperativ ist und makellose Ästhetik als goldenem Kalb gehuldigt wird -   zynisch blickt der Regisseur auf eine oberflächliche Welt, die ihre Protagonisten - sprich, vor allem die Models - aussaugt und dann beinhart fallen lässt. Diese Abrechnung mit einer Branche hat etwas von  Paul Verhoevens schmutziger Showbiz-Satire „Showgirls“ - auch durch die teils etwas platten und recht plakativen Dialoge.

Neben dieser Genre-Mischung ist „Neon Demon“ - wie schon „Drive“ - im Kern ein L.A.-Film, der in drama-artiger Manier, das Leben in der Stadt der Engel abseits vom gleißenden Licht des Sunset Boulevards zeigt. Refns Kalifornien spielt sich vornehmlich in den Schatten ab. In diesen Schatten lauern Abgründe, die der Däne genüsslich auslotet - und dabei auf eine großartige Darstellerriege zurückgreifen kann: Elle Fanning ist überzeugend in der Rolle der naiven Jesse, die zwischen kindlich-jugendlicher Unschuld und wachsendem Narzissmus changiert. Beim sie belauernden Umfeld, das rasch Notiz von dem zurückhaltenden, seltsam passiv und teilnahmslos wirkenden Mädchen nimmt, stechen vor allem die laszive Abbey Lee (u.a. als Gesicht von Versace- Kampagnen und aus „Mad Max: Fury Road“ bekannt“) und Jena Malone als emotional bankrotte Make Up Artistin hervor. Bei den Nebenrollen gefallen vor allem Keanu Reeves als schmieriger Hotel-Besitzer und Desmond Harrington (u.a bekannt als Quinn aus „Dexter“ ) als grantelnder Fotograf.

Credit Bild: © Koch Films  Koch Media


Credit Bild: © Koch Films  Koch Media

Im Kino geriet  der Film zu Flop - eine weitere Parallele, die man zu Verhoevens  Pleite „Showgirls“ ziehen kann - doch davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Der Film hat fraglos einige Schwächen - das Narrativ des „Neon Demon“ ist  nicht eben „story driven“. Das Grauen, das von der ahnungslos erscheinenden Jesse zunehmend Besitz ergreift, nähert sich in ähnlich schleichendem Tempo wie der gesamte Handlungsablauf des Films. Man fragt sich wieso Refn sich die eigentlich spannenden Ereignisse bis wirklich ganz zum Schluss aufhebt. Das Finale wirkt gegenüber dem teil allzu gemächlichen Tempo des Streifens geradezu überhastet - wenngleich die Wirkung alles andere als verfehlt wird.

Insgesamt ist „The Neon Demon“ wie die meisten Werke Refns etwas schwierig. Refn ist trotz der Verschrobenheit seiner Filme einer der interessantesten Filmemacher der letzten Jahre, dem man zu gute halten muss, dass er in Zeiten rein kommerzieller Superhelden-Blockbuster mit einem solchen Film ein Wagnis eingeht. Trotz Längen ist „The Neon Demon“ ambitioniertes Genre-Kino, das vor allem fashion-affine Kunstfilm-Fnas anspricht.

Credit Bild: © Koch Films  Koch Media
Zur Mediabook-Version:

Windig Refns Film ist zweifelsohne der durchgestylteste Streifen des Jahres - und dazu passt auch dann die Aufmachung des limitieren 4 Disc Mediabooks, das genau dem unterkühlen Styling des Films entspricht und ein toll gemachtes Sammlerstück darstellt- Der Cineast findet in diesem Sammlerstück in Buchform neben einem 24 seitigen Booklet den Film gleich in zweierlei Ausführung als Blu ray und als DVD - wobei beide mit ausgezeichneten Bildwerten in absoluter Referenzqualität aufwarten, was die komplett artifiziell wirkende Welt, die Refn entwirft, auch braucht. Schon die Haupt-Discs enthalten interessante Features wie Interviews, ein weitere Bonus-Discs umfasst interessante Featurettes, die  die man wirklich nicht skippen sollte, da  sie ziemlich in die Tiefe gehen und einen vom Film besessenen Regisseur, dem man seine Begeisterung für das Medium anmerkt, zeigen. Als Disc Numero 4 gibt es noch den Soundtrack von Cliff Martinez - der OS.T. enthält zwar nicht direkt Ohrwürmer, dafür passt der synth-lastige 80s-Score exzellent zum eiskalten Flair des Films.