Freitag, 5. April 2019

SUSPIRIA (2018)


Credit Bild: © Koch Media
Mit Remakes bekannter Klassiker der Kinogeschichte verhält es sich so ähnlich wie mit Cover-Versionen in der Musik: Fans des Originale können oftmals wenig mit ihnen anfangen, die Gefahr zur uninspirierten Kopie zu werden ist stets nah und somit erweist sich die Fallhöhe als beträchtlich. Doch ein Cover bietet, wie ein Blick in die Musikgeschichte beweist, immer auch die Chance „auf den Schultern von Riesen“  oder verehrten Vorbildern profund Neues zu schaffen und einem bestehenden Werk etwas Einzigartiges hinzuzufügen. Bei der 2018er Neuauflage eines der legendärsten italienischen Horrorfilme aller Zeiten - Dario Argentos „Suspiria“  - wollte  „Call Me By Your Name“-Regisseur Luca Guadagnino offenbar den letzteren Weg gehen und neue Deutungsmuster im bekannten Stoff des Meisters finden. Dabei geht er künstlerisch gesehen über die Leichen jener Aspekte, die das Original zu einem singulären Kultfilm werden ließen.

Vom Argento´schen Urtext bleibt hier nur das Skelett über: Wie im Original folgt der Zuschauer der jungen Suzy (diesmal verkörpert von „50 Shades“-Star Dakota Johnson) bei ihrem Weg in ein deutsches Tanz-Internat mit  unheimlich anmutenden Leiterinnen (allen voran Tilda Swinton). Suzys Nachtruhe wird regelmäßig von Alpträumen gestört und einige ihrer Tanzkolleginnen verschwinden auf mysteriöse Weise. Das unbedarft wirkende Mädel ahnt da noch nicht, dass sie Teil eines sinistren Plans ihrer okkulten Lehrerinnen ist…
Hier enden jedoch schon die Gemeinsamkeiten. Dem „Suspiria“ des 21. Jahrhunderts ist das europäische Paracinema der Siebziger wesentlich weniger nah als etwa Darren Aronofskys „Mother“ (2017) oder Nicolas Winding-Refns „Neon Demon“ (2016).
Immerhin, man muss diesem Prestige Projekt der Amazon Studios zu gute halten, dass es  nicht auf Nummer sicher geht. Die knalligen Farbspiele und die perfiden „murder set pieces“ für die Argento so berühmt und respektive berüchtigt ist, müssen weichen. Wo bei "Supriria" im Jahre 1977 noch zeitgeistiger Progressive Rock im Soundtrack dominierte, stehen nun alternative Noise-und Klangstrukturen mit dezenter Pop-Nähe von Radiohead-Frontman Thom Yorke  im Mittelpunkt.  Allein eine gewisse Faszination für Architektur teilen beide Regisseure. Doch während Argento das Spiel mit seinen „Signatures“ virtuos beherrschte, verstolpert sich Guadagnino bei seiner eigens ersonnenen Choreographie.
 
Credit Coverbild: © Koch Media
Wenn die Spielzeit in "Suspiria" (2018) die Länge des Ursprungsfilms überschritten hat, ist die Handlung noch immer nicht in Fahrt gekommen. Anstatt auf Suspense und Horror setzt der Regisseur nämlich vor allem auf ausgewalzte Tanz-Szenen. Der Horror er lauert hier nicht in „jump scares“ oder einer bedrohlichen Atmosphäre, nein, der wahre Horror liegt im Modern Dance nach Festwochen-Zuschnitt. Doch allein diese hier ausgelebte private Begeisterung des Directors für einen ästhetisch immerhin toll gefilmten Tanz der Teufel sollte den geneigten Genre-Fan noch nicht dazu treiben, den Film als Sakrileg in (Pina) Bausch und Bogen abzuschreiben. Dafür sorgt vor allem anderen schon der zähe, mäandernde Plot, der ähnlich ziellos wie ein ins Nichts laufender High Fashion-Werbespot wirkt. Dass Guadagnino das Ganze noch mit einem unausgegorenen, plakativen Polit-Subtext verbrämt  - die Story ist im Erscheinungsjahr des Argentos-Film, dem deutschen Herbst 1977, angesiedelt , wobei das Setting seltsamerweise über weite Strecken sehr winterlich anmutet – macht es nicht besser. Plakative Dialoge über das Zeitgeschehen tun ihr übriges.

Guadagninos Film ist stets bemüht hohe Kunst zu sein, nicht bloß ein Schauerstück sondern ein „thinking man´s horror movie“. In diesem Ansinnen gelingt ihm jedoch nur ein überlanges (150 mehr als gestreckte Minuten!) prätentiös anmutendes Experiment, das zu roh fürs Arthouse und zu wenig spannend fürs Grindhouse ist. Dass man es hier dennoch mit einem der ungewöhnlichsten Genre-Filme der letzten Jahre zu tun hat, den man als Horror-Fan und Argento-Jünger zumindest gesehen haben sollte, und sei es nur um sich erneut zu vergewissern,  dass das Original auch anno 2019 besser ist , muss man anerkennen.
Am Schluss steht man wieder bei der Coverversion-Allegorie: Guadagnino bleibt mit seiner Interpretation des Stücks zwar im selben Genre ändert jedoch so radikal die Tonalität und das Tempo, dass letzten Endes sogar die Grund-Melodie entstellt wird:  Ein Cover mit hinzufügten Solo-Passagen einzelner Instrumente, bei dem jedoch insgesamt die Dissonanz einer gut intendierten, jedoch missglückten  Neuinstrumentierung überwiegt und sich kein harmonischer Gesamteindruck einstellen mag.