Selbstbildnis mit Lampionblume, 1912
Credit Bild: © Leopold Museum, Vienna
|
„Nach meinem Tod, früher oder später, werden die Leute mich gewiss lobpreisen und meine Kunst bewundern“
Ein Zitat des im Sterbebett liegenden Egon Schiele, kurz bevor ihn schließlich die spanische Grippe das Leben kostete, das geradezu prophetisch anmutet: Heute ist der österreichische Jahrhundertwende-Maler zwar absoluter Kult, zu Lebzeiten sah er sich jedoch immer wieder mit heftiger Ablehnung und Feindseligkeit gegenüber seiner Person sowie seiner Kunst konfrontiert. In einer Zeit des Umbruchs, in der es zum Widerstreit zwischen modernen wie beharrend-konservativen Kräften in Europa und der Metropole Wien kam, waren drastische Werke wie die seinen geradezu prädestiniert dafür einen Aufschrei in der bürgerlichen Gesellschaft hervorzurufen.
Die Darstellung magerer, nackter Leiber auf seinen Gemälden traf häufig auf Unverständnis und wurde als schlichtweg pornographisch abgestempelt – während aufgeschlosseneren Kunstliebhabern und Mäzenen die neuartige Qualität von Schieles Werken nicht verborgen blieb. Zeitgenossen Schieles wie etwa Gustav Klimt zeigten zwar ebenfalls erotische Darstellungen in ihrer Kunst, blieben jedoch noch am klassisch-schönen Ideal orientiert. Schiele hingegen ging einen anderen Weg - er brach radikal mit vorherrschenden Sehgewohnheiten, in seinen schonungslosen Körperstudien präsentierte er Malerei als anthropologische Studie des Begehrens: teils verzerrte Gesichter, verrenkte Gliedmaßen, geisterhaft-fahle Haut im starken Kontrast zu einem tiefrot gefärbtem Schambereich, die lasziven Posen seiner Modelle, die Verbindung von Eros und Thanatos - dass der Maler auch noch oft äußerst junge Mädchen für seine expliziten Aktdarstellungen einsetzte machte den Skandal perfekt.
In seinem kurzen Leben war Schiele, der mit gerade einmal 28 Jahren starb und nichtsdestotrotz ein umfangreiches Werk hinterließ, ein oft unverstandenes Genie - nachfolgende Generationen rezipierten sein einflussreiches Werk (man denke nur an Francis Bacon) jedoch gänzlich anders und erkannten ihn als einen der wichtigsten Vertreter des Expressionismus, der tatsächlich einen neuen Stil prägte – was er ja mit der Gründung der Neukunst-Gruppe einst intendiert hatte.
Passend zum Schiele-Jahr 2018, in dem des 100. Todestages des wegweisenden Malers der Wiener Moderne gedacht wird, ist im Taschen Verlag eine Mammut-Retrospektive erschienen, welche die gesamten 1909 bis 1918 entstandenen Gemälde dieses Meisters der Fin de Siècle–Kunst vereint: eine ungemein genaue und umfassende Werkschau in einer äußerst stylischen Schutzkassette mit High Quality- Reproduktionen dieser faszinierenden Werke.
Aufgrund des Detailreichtums und des schieren Umfangs dieser Retrospektive kann man mit diesem Band die gesamte Entwicklung des Künstlers nachvollziehen. Von den frühen Arbeiten, die teils noch von Klimt beeinflusst waren über die Aktdarstellungen, die Selbstbildnisse als „Schmerzensmann“ bis hin zu seinen Eindrücken toter Städte.
Doch „Egon Schiele Sämtliche Gemälde 1909 -1918“ ist nicht nur eine beeindruckender Bildband. Herausgeber Tobias G. Natter, österreichischer Kunstexperte, entwirft in diesem wuchtigen Buch auch eine äußerst gut geschriebene Biographie Schieles. Jedes hier vorgestellte Werk wird überdies en detail beleuchtet und kunstgeschichtlich eingeordnet und selbst weniger bekannte Aspekte des künstlerischen Schaffens Schieles, wie seine Arbeiten als Dichter, werden eingehend beleuchtet.
Weiterführender Literatur- und Buch-Tip: 2018 ist ja nicht nur das Schiele- sondern auch das Klimt-Jahr. Ebenfalls von Tobias G. Natter und nach dem selben, umfassenden Prinzip aufgebaut ist "Gustav Klimt. Sämtliche Gemälde": Der Mammutband bietet - auch abseits der bekannten Werke wie "Der Kuss" oder der "goldenen Adele" einen Gesamtüberblick über diese Jugendstil-Ikone.
Credit Coverbild: © Taschen Verlag
Egon Schiele. Sämtliche Gemälde 1909-1918
Tobias G. Natter, Hardcover, 29 x 39,5 cm, 612 Seiten
|