Montag, 4. März 2019

DIKTATOREN IM KINO


Credit Coverbild: ©Zsolnay Verlag
Ebenso interessant wie eigentümlich war die Beziehung der gefürchteten Diktatoren und Propagandisten der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zum damals noch jungen Medium Film. Einige von ihnen waren selbst Fans der bewegten Bilder auf der Leinwand: Ähnlich wie bei der Opernfigur des letzten Tribunen Rienzi fand sich Adolf Hitler etwa im Pancho Villa im u.a . unter der Regie von Howard Hawks entstandenen „Viva Villa“ wieder. Josef Stalin entwickelte sich zwar erst mit fortgeschrittenem Alter zum Cineasten (und Zensor der Kunstform) hatte jedoch skurrilerweise eine Vorliebe für westliche Filme, darunter auch für das ur-amerikanische Genre des Western. In Italien wiederum schuf sich Benito Mussolini für die Produktion italienischer Filmwerke gleich eine eigene Stadt: Cinecittà.
Die Symbiose zwischen den Diktatoren und der Kunstform ging jedoch weit über die persönliche Begeisterung hinaus. Kino war immer auch eine wirksame Propaganda-Waffe, nicht nur zur überlebensgroßen Selbstinszenierung sondern auch zur perfiden Beeinflussung der Massen.
Lenin etwa hatte zwar nicht unbedingt viel für das Künstlerische im Film über, erkannte jedoch das edukative Potential für die Arbeiter in Russland. Der Chefpropagandist des „Dritten Reichs“ Joseph Goebbels schwärmte nicht nur aus weniger cineastischen Gründen für zahlreiche Starlets von Babelsberg sondern instrumentalisierte rücksichtslos Schauspieler wie Regisseure und lenkte die gesamte Filmproduktion in Deutschland. Vor diesem Hintergrund ist es eine interessante Fußnote der Geschichte, dass gerade in solch dunklen Zeiten technische wie inszenatorische Pionierleistungen fielen (Stichworte: Riefenstahl und Eisenstein).

All diese unterschiedlichen Aspekte - von den Genre-Vorlieben der Despoten über die Rolle bekannter Filmschaffender in totalitären Systemen zur Instrumentalisierung eines ganzen Massenmediums zur Beeinflussung des Volks  - stehen im Zentrum der Neuerscheinung „Diktatoren im Kino“ des renommierten Literaturwissenschaftlers Peter Demetz. Dieser beleuchtet ein ungemein faszinierendes Gebiet, das noch nicht so erschöpfend erforscht wurde, wie man vielleicht annehmen könnte. Der hier gegebene Überblick ist kompakt, ohne dabei oberflächlich zu wirken. Demetz findet interessante, wenig bekannte Details in den Biographien der Diktatoren - das macht dieses Buch einerseits für jene spannend, die sich erstmalig mit dieser  besonderen Thematik auseinandersetzen, es langweilt jedoch andererseits nicht die historisch versierten Leser. 

Zwar könnte man das Thema sicherlich noch ausführlicher behandeln als es hier auf gut 256 Seiten geschieht, doch es ist dem Autor sehr zugute zu halten, dass er nicht den Fehler so mancher seiner Kollegen begeht und sich in Nebensächlichkeiten verzettelt, die dann in einer wenig mitreißenden Aufzählung mehr oder minder bedeutsamer Zahlen mündet. Dieses  Buch liest sich stets flüssig, was auch an der immer wieder durchscheinenden Begeisterung des Cineasten Demetz liegt. Nur die  Aufmachung ist etwas nüchtern ausgefallen: Ein paar vereinzelte, kleine Schwarzweiß-Fotos illustrieren das Büchlein; die Thematik und die visuelle Natur des Mediums Film hätten durchaus eine größere Aufmachung mit ganzseitigen Fotos und Bilderstrecken für eine  tiefergehende Analyse von Propaganda-Machwerken nahegelegt.

Ungeachtet dessen ist „Diktatoren im Kino“ ein - im besten Sinne - „old school“-Geschichtsbuch, das mit einer Fülle an Infos nicht nur als Quelle für eigene wissenschaftliche Arbeiten fungieren kann sondern zu den interessantesten kommunikationshistorischen wie kinogeschichtlichen Releases der jüngeren Vergangenheit zählt.