Mittwoch, 25. April 2018

VINTAGE von Grégoire Hervier

Credit Coverbild: © Diogenes Verlag
Beschäftigt man sich mit dem Vintage-Markt im Bereich der Gitarren der großen Hersteller wie Gibson, Fender & Gretsch  so begegnen dem Sammler und geneigten Enthusiasten grob geschätzt drei Kategorien – die allesamt die mythische Aura des Unerreichbaren umgibt. 
Da wären zum einen jene Celebrity-Instrumente, die von den Heroen der Populärmusik selbst gespielt wurden und klarerweise zu den gesuchtesten Reliquien des Rock zählen.
Dann gibt es noch Gitarren, die aufgrund einer sehr limitierten Stückzahl und wegen ihrer speziellen Klangeigenschaften zu den begehrtesten Sammlerobjekten zählen: Fünfziger Fender Stratocasters und Sunburst Gibson Les Pauls fallen beispielsweise in diese Kategorie. Und dann gibt es noch eine dritte Kategorie: die Nessies unter den Instrumenten, jene Phantome der Gitarrenbaukunst, deren Aufenthaltsort unklar ist (siehe etwa Eric Claptons legendäre Beano-Burst) oder von denen man nicht einmal weiß, ob sie überhaupt existieren(!) Die Gibson „Moderne“ fällt unter letztere Kategorie und ist auch eine der Hauptdarstellerinnen in einem neuen Kriminalroman aus dem Diogenes Verlag.

Von all den teils ungewöhnlichen Designs der goldenen Ära des Gitarrenbaus war die Moderne wohl die radikalste: ein geradezu surrealistisch anmutendes Experiment, das noch futuristischer war als die V-förmige Flying V oder die kantige Explorer: die Dalí-Variante einer E-Gitarre. Existierte sie überhaupt abseits eines Prototyps und wenn ja, wer besitzt sie? Eine fiktive Antwort auf diese Frage um den Verbleib der Moderne ist auch der Ausgangspunkt  in „Vintage“, dem äußerst lesenswerten Rock N´ Roll-Krimi des belgischen Autors Grégoire Hervier.

Hervier legt mit diesem Buch einen der ungewöhnlichsten Romane der letzten Jahre vor, der mit seinem erfrischend originellen Plot weniger klassischer Krimi denn Ode an den Rock N´ Roll ist. Die Hauptfigur Thomas Dupré ist ein wenig erfolgreicher Musiker  und Journalist, der sich mit einem Job in einem kleinen Gitarrenladen über Wasser hält. Sein etwas eintöniger Alltag wird allerdings je durchbrochen, als sein Boss ihn mit einem Spezialauftrag betraut.  Beinahe geht es Thomas wie Philip Marlowe, auch wenn sich keine blonde Femme Fatale in den antiquierten Musikalienladen verirrt….Vielmehr muss er eine Gitarre zu einem reichen Lord nach Schottland bringen. Doch was als einfache Transaktion  beginnt, entpuppt sich rasch als Vorspiel für einen noch größeren Auftrag, den der betuchte adelige Gitarren-Connoisseur für den jungen Mann hat. Thomas soll sich auf die Suche nach einer verschwundenem Moderne begeben…….

Der lockere Stil in dem Hervier seinen Protagonisten auf popkulturelle Schnitzeljagd nach der Phantomgitarre schickt gemahnt an old school-Krimis der schwarzen Serie. Die Sätze sind aufs knappste reduziert, zu keinem Zeitpunkt vermutet man, dass man es mit einem europäischen Autor zu tun hat. Hervier ist eher in der alten amerikanischen  hard boiled- Tradition verhaftet.
Die mysteriöse Sechssaitige wird bei Hervier zum hitchock´schen MacGuffin für eine Reise durch die Populärkultur an sich. Kaum eine Seite kommt ohne Exkurse über die Rock N´ Roll Geschichte aus –  stellenweise wird das permanente Namedropping etwas viel, doch merkt  man als Leser stets die glühende Begeisterung Herviers für die Thematik.
Ähnlich musik-affin sollte allerdings auch der potentielle Leser von  „Vintage“ sein um alle Querverweise  zu verstehen und so das Buch vollständig zu genießen
Gitarren-Aficionados jedoch bekommen mit „Vintage“ einen der  ungewöhnlichsten Romane der letzten Jahre, mit einer angenehm aus der Zeit gefallenen Story: Eine echte  Entdeckung  abseits vom inflationären  08/15-Krimi-Einheitsbrei.

Grégoire Hervier-Vintage
Hardcover Leinen
400 Seiten
ISBN:978-3-257-07002-6
€ (D) 24.00 / sFr 32.00* / € (A) 24.70