Freitag, 5. April 2019

LORDS OF CHAOS


Credit Bild: © Studio Hamburg Enterprises GmbH
Based on truth and lies - and what actually happened…

In der unwirtlichen Eiseskälte des hohen Nordens Europas entsteht in den Achtzigern und frühen Neunzigern ein neues Genre extremen Metals. Es wird das letzte Mal sein, das Musik so richtig gefährlich ist: Jonas Åkerlunds neuer Film „Lords Of Chaos“ erzählt nun davon wie eine kleine Subkulturszene künstlerisch neue Wege geht, sich jedoch dabei zunehmend radikalisiert und schließlich ein ganzes Land in Atem hielt.

Es scheint derzeit ja so etwas wie eine Renaissance des Musik-Biopics zu geben: Ein prestige-trächtiger Film über den King Of Rock N´Roll mit Tom Hanks als Col. Parker ist angekündigt, unlängst feierte die Glam Metal-Chronik „The Dirt“ über die Exzesse von Mötley Crüe auf Netflix Premiere und bei den diesjährigen Golden Globes & Oscars sowie an den Kinokassen räumte der Queen-Film „Bohemian Rhapsody“ ab. Dass mit  „Lords Of Chaos“ nun ausgerechnet der meilenweit von jeglichem Mainstream entfernte Black Metal bzw. um genauer zu sein der „True Norwegian Black Metal“ ein eigenes „BoRap“ erhält, ist durchaus bemerkenswert. Wobei die höchst dramatischen Ereignisse in der Frühphase dieses Genres tatsächlich eine Verfilmung rechtfertigen – wenngleich im Zentrum weniger künstlerische Triumphe oder eine Läuterungsgeschichte exzessiver Rockstar im Zentrum steht, sondern eine trostlose Bestandsaufnahme einer irregeleiteten Jugend.
Credit Bild: © Studio Hamburg Enterprises GmbH
Basierend auf dem gleichnamigen Buch entführt „Lords Of Chaos“  den Zuseher in die klirrende Kälte des Norwegens der Neunzehnneunziger-Jahre. Während in den USA der Metal endgültig in die Charts vorgedrungen ist (Black Album der Four Horsemen Metallica anyone ? ) zog er sich im hohen Norden Europas zurück in ein selbst gewähltes  Exil. Inspiriert von frühen Vertretern extremer Musik wie Celtic Frost oder Venom entwickelte eine überschaubare Gruppe jugendlicher Metalheads innerhalb einer lokalen, abgeschotteten Subkultur-Szene eine neue, karge, reduzierte, dezidiert antik-kommerzielle Musik, die so schroff wie die Natur Norwegens anmutet: Traditioneller Gesang wich einem dämonischen Kreischen, sägende Gitarren-Sounds, bewusst schlecht produziert bolzten militärisch aus den Boxen. Die Musiker schminkten sich mit „Corpsepaint“, eine KISS oder King Diamond nicht unähnliche Kriegsbemalung. Die Texte wurden getragen von einer morbiden Faszination für Satanismus, Okkultismus und „Pagan“-Philosophien. Eine neue, schwer zugängliche Ausdrucksform des Heavy Metal war geboren.
Doch was mit extremen Klängen begann, spiegelte sich leider bald in den Taten der Musiker wider. Die jugendlichen Mitglieder der norwegischen Szene ergingen sich in Rivalitäten, manche von ihnen beschäftigten sich nicht bloß mit Satanismus sondern auch mit kruden, nationalistischen Theorien. In der Rap-Szene der USA blieben gewaltsame Auseindersetzungen auf einer "internen" Ebene von Plattenbossen und Gangs. In Norwegen jedoch hielt eine kleine Gruppe Jugendlicher, die ihre eigene Musik allzu ernst nahmen, bald ein ganzes Land in Atem:  Wahnsinn, Gewalt, Mord, Suizid und schließlich das berüchtigte Anzünden historische Kirchen waren die erschreckenden Folgen.
Credit Bild: © Studio Hamburg Enterprises GmbH
Regisseur Jonas Åkerlund, der zuletzt den Hitman-Streifen „Polar“ mit Mads Mikkelsen drehte und als  Mann hinter im Gedächtnis bleibenden Musikvideos  wie „Turn The Page“ von Metallica, „Come Undone“ von Robbie Willaims oder „Smack My Bitch Up“ von The Prodigy bekannt ist, zeigt diesen Abstieg in  tiefste Abgründe schonungslos und weitgehend unzensiert (Stichwort: FSK 18). Im Gegensatz zu anderen Biopics nähert er sich seinem Thema jedoch nicht aus der akademisch-distanzierten Perspektive eines Außenstehenden. Denn Akerlund war selbst kurzzeitig Drummer bei der frühen Black Metal-Combo Bathory und ist damit  so etwas wie ein Insider. Auch bei „Lords Of Chaos“ pflegt er seinen „Signature Dirty Glamour“-Stil ohne sich jedoch in reiner Videoclip-Ästhetik zu ergehen. Gekonnt lässt er die Zeit der Nineties originalgetreu wiederaufleben – vom Look bis zum ganzen Feeling des Films. Unterstützt wird er dabei von einer spielfreudigen Riege Jungstars, darunter Rory Culkin, Jack Kilmer, Sky Ferreira, Wilson Gonzalez Ochsenknecht und Valter Skarsgård).
Credit Bild: © Studio Hamburg Enterprises GmbH
Obwohl Akerlund Krawalliges nicht fremd und die Abseitigkeit des Plots beträchtlich ist,
wirkt „Lords Of Chaos“ bei aller Drastik nicht nur wie ein boulevardeskes Kolportage-Stück.
Vielmehr merkt man, dass der Director ein ehrliches Interesse an seinen jungen Hauptfiguren hat und bemüht ist ein weitgehend differenziertes Bild der düsteren Vorkommnisse in der norwegischen Szene zu zeigen - mit all seiner Dramatik aber auch allen Absurditäten und Lächerlichkeiten. Nicht immer gelingt es ihm dabei die Untiefen des Biopic-Genres mit historischen Verknappungen, Fiktionalisierungen und Klischees zu umschiffen. Klar ist auch, dass manche Hardcore-Fans eine  ästhetisierte Hollywood-Version der Black Metal-History grundsätzlich ablehnen werden.
Doch Åkerlund hat hier einen wesentlich besseren Film geschaffen als bspw. den völlig missglückten „The Dirt“ und liefert ein faszinierendes, semi-dokumentarisch anmutendes Portrait über eine unheilige Allianz zwischen kompromissloser Kunst und Verbrechen, das im Kern ein universelles „coming of age gone wrong“-Drama ist.