Credit Coverbild: © Oxford University Press
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Es ist
eine spezielle Eigenart des Mediums Film, dass es durch seine Massenverbreitung
die Rezeption gesellschaftlicher Realitäten sowie historischer Epochen oftmals
entscheidend mitprägt. Ein besonders interessantes Beispiel für diese
Manifestation von Vorstellungen findet sich bei den Soundtracks, die nicht nur
einzelne Szene untermalen sondern die Wahrnehmung des Zuschauers teils
maßgeblich beeinflussen, wie sich vergangene Epochen „anhörten“: Wie klang etwa
der Wilde Westen, was war der „Score“ dieser Pionierzeit des 19. Jahrhunderts
in der „Neuen Welt“. Mir persönlich – wie zweifelsohne zahllosen anderen
Cineasten– fallen da sicher weniger fröhliche Pionierchöre oder die
kitschig-säuselnden Melodien des US-Western der 50s ein sondern twangige
E-Gitarren, verzerrte Fuzz-Riffs, dissonante Harmonikas und
Koloratur-Arien. Maßgeblich für diesen zwar historisch mitunter
anachronistischen, jedoch ungemein wirkungsvollen Score war der italienische
Maestro Ennio Morricone.
In seinem
ungewöhnlichen Signature-Sound verschmolz der klassisch
geschulte
Komponist sowohl Elemente aus der E-Musik als auch der U-Musik.
Typische
Orchesterinstrumente trafen auf moderne elektrische Instrumente, die in der
Klassik sonst keine Rolle spielten. Selbst Geräusche und Laute wie
Kojotengeheul konnten bei ihm zur Musik werden. Ein progressiver Ansatz, den er
nach den Erfolgen mit den Spaghetti Western auch bei unheimlich dichten Scores
vom Krimi bis zum Drama einsetzte.
Durch
diesen innovativen und oft kopierten Approach- wurde Morricone zu einem der
wichtigsten, vielleicht sogar zu dem wichtigsten zeitgenössischen Komponisten.
Genau
dieser interessante Zugang zu Musik steht auch im Zentrum des neu erschienenen
Buchs "Ennio Morricone: In His Own Words" (Oxford University Press).
Der junge
Komponist Alessandro De Rosa führte ausführliche Gespräche mit Morricone die tief
in dessen komplexes Musikverständnis eintauchen.
Während
selbst die längsten Gespräche in Andy Warhols “Interview”-Magazin nur ein paar
Seiten ausmachen (können) findet man hier extrem ausführliche Transkripte
dieser Konversationen die tatsächlich mehr als 300 Seiten füllen. Das ist
auch deshalb besonders interessant, weil der Maestro nicht oft für Interviews
zur Verfügung steht und die meisten journalistischen Gespräche mit ihm oftmals nur oberflächlich bleiben, was dem
vielschichtigen Charakter dieser Legende und seinem intellektuell-analytischen
Naturell natürlich nicht gerecht wird.
Man merkt
beim Lesen von „In His Own Words“, dass der Interviewer und der Interviewte einen
guten Draht zueinander haben. Die intelligenten Fragen de Rosas ebnen den
Weg für eine tiefgehende Eigenanalyse eines jahrzehntelangen Oeuvres, die nicht
bei den bekannteste Filmmusiken stehen bleibt, sondern letztlich in die
Metaphysik der „musica assoluta“ eintaucht und so den „creative process“ Morricones nachvollziehbar macht
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Sofern man
ein gutes film- und vor allem musiktheoretisches Verständnis mitbringt:
denn dieses
Buch ist durchaus anspruchsvoll und ist teilweise wohl nur für Musiker ganz
nachvollziehbar. Genau diese in depth-Herangehensweise macht „In His Own Word“
jedoch auch zu einem der informativsten Film/Musikbuch seit langem – das zudem mehr
als einmal an Truffauts Klassiker „Mr. Hitchcock, wie haben sie das gemacht ?“
erinnert.