Sonntag, 21. Mai 2017

TWIN PEAKS Season 3 - Es gibt wieder verdammt guten Kaffee



Wenn in den USA heute Abend „Twin Peaks“ ins Fernsehen zurückkehrt*, so ist das nicht nur das TV-Event des Jahres, es schließt sich vor allem auch ein Kreis: Denn David Lynchs Serie über die merkwürdigen Vorkommnisse in der nur vermeintlich beschaulichen, titelgebenden Kleinstadt nahe der kanadischen Grenze stellt quasi die Stunde Null des „high quality tv“ dar – Fernsehen, das nicht nur den Anspruch hatte gute TV-Unterhaltung im bekannten Format zu bieten, sondern  das so ambitioniert und anspruchsvoll  wie ein Hollywood-Spielfilm war.

Die Ausstrahlung von „Twin Peaks“ deutete in den frühen Neunzigern auf einen Paradigmenwechsel in der „small screen“-Branche hin.
Das Versprechen eines neuen Fernsehens, das die Macher David Lnych und Mark Frost mit dem ambitionierten Projekt gegeben hatten, sollte jedoch erst  knapp ein Jahrzehnt nachdem die erste Folge der  Mystery-Kult über amerikanische TV-Geräte geflimmert war, eingelöst werden: mit David Chases „Sopranos“ (an der wiederum der spätere „Mad Men“-Macher Matthew Weiner mitwirkte) wurde endgültig das „goldene Zeitalter“ der TV-Serien eingeläutet,  mit dem wegweisende Serien wie beispielsweise die erwähnte Saga über Werbefachmann Don Draper, „Breaking Bad“, „Boardwalk Empire“, „Dexter“, oder zuletzt „Westworld“ folgten.
Nun kehrt jene Show mit der Anfang der Nineties alles begann zurück und so lohnt sich ein ein Blick zurückzuwerfen: auf die ersten zwei Seasons und darauf, was eines der größten Fernsehphänomene aller Zeiten eigentlich ausmachte.

Zum Plot: Es ist ein Tag wie jeder andere in Twin Peaks.Pete Martell möchte einer seiner Lieblingsbeschäftigungen nachgehen und macht sich zum Fischen auf. Doch etwas ist an diesem Tag anders, ganz anders. Denn es wird die Leiche eines jungen Mädchens angeschwemmt: In Plastikplane eingewickelt, ermordet. Es ist die Ballkönigin  Laura Palmer, Tochter des angesehen Anwalts der Stadt.
Was ist mir ihr geschehen? Eine Frage die die ganze in ihren Grundfesten erschütterte Gemeinde martert. Solche Tragödien kennt man doch nur aus der Großstadt und von jener ist Twin Peaks meilenweit entfernt. Zur Klärung des Falls kommt der FBI-Special Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan)  nach Twin Peaks und muss bald erkennen,  dass dort nichts so ist wie es auf den ersten Blick scheint. Und was haben Coopers enigmatische Visionen, die ihn von Zeit zu Zeit heimsuchen, eine Frau, die mit einem Holzscheit spricht und ein unheimlicher langhaariger Typ, den manche Bewohner sehen mit alldem auf sich?

Jede über diese Kurz-Synopsis hinausgehende Bemerkung würde unweigerlich dazu führen, handlungsrelevante Wendungen vorwegzunehmen und den Zuseher so einer unglaublichen „Viewing-Experience“ zu berauben. Ja, „Twin Peaks“ (TP) macht es einem fast schon schwer ein Review zu verfassen, ohne nach jedem Absatz ein großes „Spoiler!“-Schild auszupacken. Zumal die Serie auf vielen verschiedenen Ebenen funktioniert- nicht umsonst häufen sich im Internet seitenweise Erklärungsversuche und Essays darüber, was denn nun genau in „Twin Peaks“ vor sich ging.

TP stellt  die Definition einer Kultserie dar. Heutzutage wird dieser Begriff ja schon in inflationärer Art und Weise gebraucht und es beschleicht einen das Gefühl, dass mittlerweile jede zweite TV-Serie,  die länger als eine Staffel lang die vom Sender erwartete Quote einfährt, als solche tituliert wird. Nun, Twin Peaks verdient das Kultlabel mehr als zurecht.
Denn bei „Twin Peaks Revisited“, also beim neuerlichen Anschauen der zwei Staffeln, fällt eines ganz eklatant auf: Die Serie ist nicht wirklich  gealtert.
Obwohl in der damaligen Gegenwart angesiedelt, hat man nicht das Gefühl sich eine Serie, die fast 3 Jahrzehnte auf dem Buckel hat anzusehen.
Technische Geräte spielen nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dem hilft natürlich das ländliche Setting, das von Technik nicht so abhängig ist, wie wenn die Handlung in einer Großstadt spielen würde.

Sicher liegt die zeitlose Faszination von TP  auch an der ungemein liebevollen Charakterzeichnung jeder einzelnen Figur. In TP geht es nicht „nur“ um Spannung und im Mittelpunkt steht nicht „nur“ die Hatz nach dem Mörder von Laura Palmer.
Vielmehr lernt man als Zuschauer fast schon in „our town“—Manier die ganze TP-Gemeinschaft näher kennen.
In TP mixen Lynch und Frost auf virtuose Weise  Genres und verbinden die klassische detective story mit Cooper als holm´schen Helden mit dem  „murder mystery“ und der Studie einer skurrilen Kleinstadtgemeinde.
Manche sprachen in diesem Zusammenhang von Soap-Elementen. Eine Meinung, die ich nicht unbedingt teilen kann. Denn steht  zwar außer Frage, dass auch die mannigfaltigen zwischenmenschlichen Beziehungen in TP eingehend beleuchtet werden, dies geschieht jedoch in einer weitaus naturalistischeren und gehaltvolleren Darstellung als in den besagten seifigen Nachmittagssendungen.

Hinzu kommt, dass  in Twin Peaks jeder mehr ist als er vorzugeben scheint. Nichts ist so wie es auf den ersten Blick scheint.
Hier wird der gepflegte Cliffhanger auf die Spitze getrieben und als Zuseher sitzt man mit offenem Mund ganz am Rande des Sessels:„The Owls Are Not What They Seem“- einer jener Kultsätze aus TP, den Cooper in einer seiner Visionen hört, fällt einem ein.
Hier kommt auch eines von Lynchs Lieblingsthemen, das sich durch so viele seiner Arbeiten zieht zum Tragen: Das Böse das hinter der blitzenden Fassade der heilen Welt lauert.
In „Blue Velvet“, in dem ebenfalls Kyle MacLachlan mitspielt, sind es die Vorstädte,  hier das Setting der Kleinstadt, die fernab von dem „Bösen“ der Großstadt gelegen ist und dennoch in den Einfluss dunkler Mächte gerät.
Die Spannung und diesen Sinn von einer unterschwellig brodelnden Gefahr, die TP im Seher evoziert ist wahrlich meisterhaft.
Hinzu kommen der herzerwärmende Humor, der ebenfalls nicht zu kurz kommt und die im Laufe der Serie immer mehr zunehmenden Mystery-Elemente.

Beim ersten Kritiker-Screening wurde der Serie jedoch keine Überlebenschance eingeräumt- zu anders war das, was die Kritiker da am Bildschirm sahen und zu weit weg vom Mainstream um sich zu etablieren.
Und ehrlich gesagt, man kann diese Haltung auch ein Stück weit verstehen.
Denn TP ist natürlich Lynch pur. Ungemein faszinierend, dabei gelichzeitig aber auch mehr als rätselhaft.
Der US-Sender ABC, der die finanziellen Mittel zur Realisierung von Lynchs und Frosts Idee beisteuerte ging mit der Genehmigung von TP sicher ein Risiko ein, war jedoch auch im Zugzwang sich gegen die anderen großen amerikanischen Networks durchzusetzen. Etwas Neues musste her. Und Twin Peaks war neu- und wie!
Der Erfolg, den die Ausstrahlung des spielfilmlangen Piloten nach sich zog überraschte und man genehmigte die Fortführung der TP-Story.
Ganz so abenteuerlich waren die verantwortlichen Herren  ABC in letzter Konsequent dann  aber leider doch wieder nicht. So ist die Story von TP auch die eines Kampfes zwischen den kreativen Kräften hinter der Idee (Lynch und Frost) und den pekuniären Interessen des Senders.
Am Ende musste dann der Stoff, der noch locker für eine dritte Staffel gereicht hätte mehr schlecht denn recht in Season 2.0 reingequetscht werden.
Obwohl die Serie bis zum atemlosen Finale überaus spannend bleibt, taten viele Entscheidungen die während der Arbeit getroffen wurden, der Serie nicht eben gut.
So zerfällt TP grob in zwei Teile.

Hier jetzt eine kurze Spoilerwarnung!:
Wer absolut null und nada über den Handlungsverlauf wissen will, kann ab jetzt zum nächsten Absatz springen: Die Bruchstelle kommt nach der Enttarnung des Mörders nach der Hälfte von Season 2. Die mystischen Elemente nehmen nun verstärkt zu. Eine metaphysische Ebene die zwar mit Coopers Visionen korrespondiert, die die Serie aber nicht unbedingt gebraucht hätte, auch wenn Lynchs Paralleluniversum natürlich faszinierend ist.
Spoiler-Ende!

Die Zuseherzahlen schwanden langsam aber sicher auch, der Sendeplatz wurde immer wieder verschoben. Nicht auszudenken, wie TP ausgesehen hätte, wenn man Lynch seinen Lauf gelassen hätte- es wird jedoch auch klar was TP für Pionierarbeit geleistet hat.
TP war seiner Zeit meilenweit voraus und es ist schon bezeichnend, dass kurze Zeit spätere etwa die X-Files mit David Duchovny, der in TP auch eine kleine Rolle hat, starteten.

Nachdem wohl auch für Lynch etwas unbefriedigenden Abschluss der Serie kehrte der Regisseur mit dem Feature Film „Fire Walk With Me“ 1992 nach Twin Peaks zurück und entwarf einen (alp-) traumartigen Film, der gleichzeitig Prequel- wie Sequel-Elemente beinhaltet.
Diesen Film sollte man sich allerdings erst nach dem Genuss der TV-Staffeln ansehen. Er trägt nicht unbedingt viel zum Verständnis des TP-Mysteriums bei, nimmt jedoch einige der spannendsten Plottwists der Serie vorweg.

Fazit:
„Verdammt guter Kaffee“ entfährt es Agent Cooper ob des Genusses des wohl meist konsumierten Getränks in ganz Twin Peaks (wohl nicht zufällig bietet Mr. Lynch selbst eine eigene Kaffeemarke auf seiner Website an…..)
Und „Verdammt gute Serie“ kann man da nur sagen, auch wenn TP  sicher nicht hundertprozentig  perfekt ist:
Insbesondere ab der  kritischen, zweiten Hälfte der zweiten Staffel werden nicht mehr alle Handlungsfäden aufgeklärt und auch der Schluss wirkt etwas übereilt.
Besonders wenn man bedenkt, wieviel Zeit für die genaue Charakterentwicklung man sich bis dahin genommen hatte. Doch wer sich an den Pilotfilm wagt, ist sofort „hooked“ und kann sich dem Bann von Twin Peaks und seiner umliegenden Wälder wohl kaum entziehen.
TP ist wahrlich eine essentielle TV-Serie für Lynch-Fans und Freunde abseitiger Unterhaltung.

Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt auf die neue Staffel von Twin Peaks - dass die Serie nun doch noch eine damals geplante, jedoch nicht zustande gekommene dritte Season bekommt, lässt darauf hoffen, dass manch lose gebliebenen Handlungsstränge endlich aufgelöst werden.

* in Österreich und Deutschland kann man die Serie ab Donnerstag auf Sky Atlantic sehen, es wird insgesamt 18 Folgen in der dritten Staffel geben, die jeweils ein apart Tage nach der Erstausstrahlung in den USA gesendet werden.