Samstag, 17. Dezember 2016

THE ROLLING STONES - BLUE & LONESOME


Credit Coverbild: © Universal Music
Mit „Blue & Lonesome“ veröffentlichen die Stones  genau jene Platte, auf die echte Fans schon seit Jahrzehnten warten: ein reines Blues-Album vom Anfang bis zum Schluss. Die Faszination für die Protagonisten des Genres hat Mick Jagger, Keith Richards, Charlie Watts und Ronnie Wood nie losgelassen. Diese Platte ist nun die Verneigung von Musikern, die längst ihrerseits Legendenstatus erreicht haben, vor den Idolen ihrer Jugend.mDer erste Vorabtrack der Platte, „Just Your Fool“, ließ heuer schon die Erwartungen hochschnellen und das Endprodukt „Blue & Lonesome“ - benannt nach dem gleichnamigen Little Walter-Klassiker - hält nun alle Versprechungen ein.
Aufgenommen in nur drei Sessions vor genau einem Jahr im Dezember 2015 besteht das Album aus 12 Covern von Blues-Klassikern die von Legenden wie Harmonika-Pionier Little Walter, Howlin´ Wolf, Otis Rush, Johnny Taylor , Eddie Taylor, Lightnin´ Slim, Jimmy Reed oder Magic Sam eingespielt wurden ( interessanterweise findet sich in der Tracklist aber kein Muddy Waters-Song...).  Die Spontanität mit der bei den puristischen Sessions ohne Overdubs operiert wurde, merkt man der Platte total an - vom Opener an gibt es hier einen unglaublichen Drive, wie er typisch für die klassischen Blues Aufnahmen der 50er war.

Überhaupt ist „Blue & Lonesome“ mit beinahe an klassische Musik gemahnender Konsequenz vintage-korrekt und authentisch. Die Songs sind - wie einst bei Chess Records- kurz und knapp gehalten, hier wird nicht lange gejammt oder soliert. Die Arrangements sind in ihrer instrumentellen Dichte meist sehr nah an den Originalen - das vorherrschende Prinzip von  „Blue & Lonesome“ ist nicht die Re-Interpretation oder experimentelle Umdeutung des historischen Ausgangsmaterials wie beim Sixties British Blues Rock-Boom sondern die höchstmögliche Original- und Werktreue - ohne dabei allerdings den typischen Stones-Touch vermissen zu lassen.
Jagger, Richards, Watts und Wood haben ihren ganz eigenen Groove - nur ganz wenige vermögen den Blues so zu spielen wie die Stones. Es sind genau diese Eigenheiten, die die Band so unverwechselbar machen - ob es die „Jaggerisms“ bei den Vocals sind, die von ganz ganz unten raufgezogenen Licks Richards oder Woods oder  Watts, der im einen Moment minimalistisch den Takt gibt nur um im nächsten Moment mit Fills die Fieberkurve raufzutreiben.
Der Shuffle bleibt hier nicht lediglich eine Rhythmus-Art - er lebt richtiggehend, atmet geradezu...es ist ein vor und zurück, ein Push & Shove, das in seiner Laszivität, einst Moralapostel auf die Barrikaden brachte. Während eines Zwölf-Takte Schemas entfacht die Band so eine mitreißende Dynamik - mal  nehmen sie sich zurück, werden abrupt etwas langsamer und leiser nur um im nächsten Moment  dann plötzlich brüllend laut vorzupreschen. Die Mikrofone ächzen förmlich unter diesen Lautstärkeattacken, wenn der Shuffle plötzlich von einem köcheln zu einem Orkan anschwillt. Die „Tape Saturation“, also  die warme, vintage Röhren-Sättigung - Merkmal vieler klassischer Aufnahmen der Musikgeschichte- ist hier äußerst präsent.

Credit Coverbild: © Universal Music
Bei zwei Tracks ist auch ein besonderer Gast mit dabei: Mr. Slowhand Eric Clapton - Es gibt die Geschichte, dass EC einst den Job, den heute Ronnie Wood übernimmt, hätte haben können - Mit seinen liquiden Slide-Gitarren-Licks bei „Everybody Knows About My Good Thing“ und eruptiven Soloeinlagen, wie aus einem Chess Records-Azetat gerissen bei „I Can´t Quit You Baby“, zeigt die Gitarrenikone aus Surrey erneut, dass er und die Steine ein perfektes Team abgeben.

Dass Frontman Jagger ein grandioser, tief in der Tradition der Pioniere des Mississippi Saxophone stehender Harp Spieler ist war schon vor „Blue & Lonesome“ bekannt - hier bekommt er allerdings nicht nur als Singer das Spotlight sondern in gesteigertem Maße auch als Solist an der Harmonika - in den zahlreiche instrumentalen Solospots bringt er die Kammern seines Harp zum Glühen. Überhaupt steht auf dieser Platte gerade Jagger besonders im Fokus - als Zuhörer entdeckt man  gar unbekannten Nuancen seiner Stimme; der 73-jährige Jagger klingt hier stellenweise wie der junge Buddy Guy.
Im Laufe ihrer Karriere waren die Stones nicht immer reine Genre-Puristen, sondern griffen öfters auch erfolgreich zeitgenössische Trends (siehe etwa Disco in den 70ern)  und prägten sie in weiterer Folge mit - nicht immer entstanden dabei ihre stärksten Songs.

Bei „Blue & Lonesome“ gehen die Steine allerdings einen gänzlich anderen Weg - „Blue & Lonesome“ ist eine erfrischend ungeschliffene und im besten Sinne so gar nicht zeitgemäße Platte, mit der Mainstream-Stones-Fans, die lediglich die Nummern diverser Greatest Hits Collections kennen, unter Umständen wenig anfangen werden. Hardcore-Fans wissen jedoch -  im Herzen waren sie immer schon eine Chicago Blues Band, „Blue & Lonesome“ subsumiert so letztlich die gesamte bisherige Karriere dieser Band.

Was „From The Cradle“ 1994 für Eric Clapton war, ist „Blue & Lonesome“ heute für die Stones -  von diesen Aufnahmen führt ein direkter Link zu den Anfängen der dienstältesten Rock N´Roll-Band - es ist ein Sample ihrer DNA. Zum jetzigen Zeitpunkt sind die Stones älter, als es die meisten Legenden, denen hier die Reverenz erwiesen wird, zu ihrem Todeszeitpunkt waren - doch noch immer sprühen die Steine vor geradezu jugendlicher Energie, wenn sie diese Songs spielen können. Ein mitreißendes „old school“-Album, das nicht nur zu ganz großen Blues-Scheiben der letzten Jahre zählt sondern insgesamt betrachtet die beste Stones-Platte seit 1974 darstellt.