Ein Beispiel für einen solchen Moment der dichten Verwobenheit mit der Kinogeschichte findet man etwa in „Jackie Brown“ (1997) - jenem Film, der nach dem epochalen „Pulp Fiction“ kam.
In „Jackie Brown“ verbringt die von Bridget Fonda verkörpere Melanie ihre
Zeit damit sich zuzudröhnen und high zu werden, den erst aus dem Gefängnis entlassenen
Louis (Robert De Niro) zu teasen und im Appartement ihres Waffenhändler-Freunds
Ordell (Samuel L. Jackson) fernzusehen: Auf ihrem persönlichen Spielplan stehen
dabei der Seventies Car Chase-Streifen
„Dirty Mary Crazy Larry“ - mit ihrem real-life Vater Peter Fonda - und auch
Sergio Griecos „Der Tollwütige“ aka „Beast With A Gun“, ein Paradebeispiel für
das italienische Exploitation-Kino der Siebziger.
Exploitation-Kino - das
waren Filme, die in mitunter reißerischer Manier gewisse Themen „exploiten“,
also ausnutzen bzw. ausschlachten - und dafür eignet sich natürlich der Topos
„Sex and violence“ ganz besonders. Doch eigentlich könnte man zur „Erklärung“ dieser
Filmgattung auch nur Sergio Griecos Tollwütigen
von 1977 hernehmen: denn selten, war ein
Film so etwas wie die Definition eines ganzen Genres.
Der dünne, bisweilen auf Poilziottesco (italienische
Polizei/Gangsterfilme)-Pfaden wandelnde Plot bietet dabei alles, was dieses
geschmähte und oftmals unterschätzte Genre zu bieten hat: exzessive Gewalt,
Tabubrüche am laufenden Band und natürlich Sex (der hier mitunter mit Gewalt
kombiniert wird). Aber halt: Dieser Film bietet noch etwas anderes - nämlich
einen übeaus überzeugenden Hauptdarsteller, der seine Sache derartig gut macht,
dass man ihm den total Irren einfach abnimmt.Im Zentrum der Story steht ein vergewaltigender Killer, der sich an denen die ihn hinter Gitter brachten rächen möchte, gespielt von Österreichs vielleicht am meisten unterschätzten Darsteller Helmut Berger. Berger, damals nach den großen Visconti-Erfolgen (wie zB.. „Die Verdammten“) auf dem Höhepunkt seiner Exploitationkarriere (aus der immerhin Tinto Brass´ „Salon Kitty“ hervorkam), zieht hier als Hauptfigur Nanni Vittale alle Register.
Seine berserkerartigen Anfälle bekommen u.a. der von Richard Harrison verkörperte, ermittelnde Kommissar und Marisa Mell zu spüren, die sich zunächst unfreiwillig und danach bereitwillig ihrem Peiniger hingibt. Diese beiden sind es auch, die dafür sorgen, dass der Film nicht nur zur One-Man Show für Berger wird. In einer weiteren Nebenrolle sieht man noch den Nello Pazzafini, der einigen vielleicht aus den Sergio Sollima-Italowestern wie „Von Angesicht zu Angesicht“ bekannt sein dürfte.
Dass die Handlung gerademal ein dürftiges Gerüst für die episodenhaften Exzesse Vittales darstellt, ist verschmerzbar - denn wo „Der Tollwütige“ nicht mit Handlung oder gar Logik punktet, da trumpft er mit seiner schieren Zügellosigkeit auf. An sadistischer Gewalt ist der Film tatsächlich schwer zu überbieten: Da werden Unschuldige wahllos gefoltert oder - in einer besonders einprägsamen Szene - Verräter mit Kalk übergossen und lebendig begraben.
Das ganze abgründige Treiben wird von einem einzigartigen Score von Umberto Smaila untermalt. Der Soundtrack besteht zwar nur aus einem bzw. zwei Stücken die ad nauseam wiederholt werden, aber schon nach dem ersten Hören bleibt der einprägsam minimalistische Track mit dem der Charakter des Nanni Vittale eingeführt wird im Gedächtnis. Für Helmut Berger-Fans ist der Film natürlich Pflicht, denn was er hier für ein Feuerwerk an Verkommenheit abfackelt, ist wahrlich einmalig.
Dennoch muss man einräumen, dass dieser Film sicher nicht jedem uneingeschränkt zu empfehlen
ist: Dafür verzichtet er zu sehr auf eine im herkömmlichen Sinne stringente und
logische Handlung und ist im Gezeigten sicher zu extrem: Alteingesessene
Genrefans, die diesen zu Unrecht vergessenen Film noch nicht kennen, werden
allerdings ihre wahre Freude mit einem der schmutzigsten Italo-Reißer haben,
doch wer bis jetzt mit Poliziottesco & Co nichts anfangen konnte , wird seine
Einstellung diesen Subgenres gegenüber nach dem Genuss des Films nur bestätigt
wissen.