Samstag, 8. Juli 2023

EXTREME-SIX

Credit Bild: © Jesse Lirola earMusic Edel 
Geschmäht, als nicht trendy verunglimpft, bewusst vermieden, als Relikt einer testosteron-geschwängerten Ära verschrien oder von Musikern, die einfach zu faul zum Üben waren, als nicht mehr nötig abgetan - das Gitarrensolo hatte seit der Grunge-Zeit auch innerhalb der Musiker-Szene nicht immer den leichtesten Stand und war indes natürlich dennoch nie totzukriegen. Dass ein solcher Ausdruck von Passion und Virtuosität für Schlagzeilen sorgt und monatelang diskutiert wird, ist also eine Seltenheit und zudem schon etwas länger her - insgesamt wohl einige Jahrzehnte. Beim Song „Rise“, genauer gesagt seinem Tendinitis-induzierenden Höhepunkt, bei dem Nuno Bettencourt wieder einmal die vollkommene Beherrschung des Instruments demonstriert, ist jedoch genau das passiert.

Der Lead Part der Lead-Off-Single des ersten Extreme-Albums seit geschlagenen 15 Jahren ließ die Wenigsten kalt. Prominente Kollegen wie Steve Lukather oder Zakk Wylde zeigten sich ob dieses hoch-technisierten Schaustücks höchst beeindruckt. Im Total Guitar-Magazin belegte „Rise“ nur wenige Monate nach der Erstveröffentlichung gar den Spitzenplatz des „Soli des 21.Jahrhunderts“-Rankings.  Kurzum, wer sich nur peripher mit Rockmusik beschäftigt kam an dieser Mischung aus Bends, Speed Licks und einer an den Grenzen des Möglichen kratzenden Hammer On und Pull Off-Passage schlichtweg nicht vorbei. Eine solche Resonanz ist an sich schon ein Phänomen, dennoch stellt sich die  Frage ob das gerade veröffentlichte dazugehörige Studioalbum "Six" mehr ist als bloß ein beeindruckendes Gitarrensolo.

Und hier gibt es klare Entwarnung, „Rise“ ist womöglich gar nicht das beste Solo auf dieser eklektischen Platte, die von Beginn an eine Fülle an teils mitreißenden, catchy Songs aufweist und ein Comeback mit dem man nicht unbedingt rechnen konnte. Extreme waren immerhin sehr lange weg. Natürlich sind es  es vor allem, immer wieder die Riffs und ausgeklügelten  Solo-Parts Bettencourts, einem Gitarristen der Eddie Van Halen und Brian May-Schule. Doch neben den Zauberticks des Saitenmagiers ist es auch die schiere Energie dieser Band, die beeindruckt und die  weitaus größer zu sein scheint als bei vielen jüngeren Gruppen. Besonders Sänger Gary Cherone ist hier hervorzuheben, röhrt dieser doch so dermaßen, dass man sich fragt, wieso echtes Frontman-Tum ein ähnliches Schicksal wie Gitarren-Soli fristete.

Insgesamt wirkt "Six"  als hätte es diese Pause von 15 Jahren nicht gegeben - for better or worse. Denn einerseits zeigt sich die Band so angriffslustig und hungrig wie der das Cover zierende Gorilla. Andererseits haben manche Songs etwas vom beliebigen Mainstream-Rock der Noughties.  Extreme zählten ohnehin immer schon zu den großen Eklektikern unter den Hard Rock-Bands, mannigfaltige Einflüsse und Experimente sind dann auch auf dieser Platte omnipräsent - stets ohne Furcht vorm Flirt mit Pop-Musik, nicht umsonst ist ihr größter Hit die Cat Stevens-artige Ballade "More Than Words“. Auf "Six" vermeint man überdies Bettencourts lange Zeit als Gitarrist bei Rihanna herauszuhören -  nicht zuletzt der Beinahe-Millennial Woop bei „Rise“ lässt darauf schließen. Insgesamt gibt es auf „Six“ allerdings natürlich mehr R N´R als Ri Ri - und dieser ist breitbeinig, lässig. Eine Mischung aus Heaviness und Leichtfüßigkeit. Doch nach der das Album eröffnenden  Dreifachsalve von „Rise“, „#Rebel“ und „Banshee“ diversifiziert sich die Platte stilistisch zunehmend, allerdings nicht immer mit gleich gutem Ergebnis: „Small Town Beautiful“ wäre auch neben den glatteren Proponenten des amerikanischen Country Format-Radio nicht Fehl am Platz. „Beautiful Girls“  ist kein Van Halen- Cover wirft jedoch die Frage auf, ob dieser Song einfach nur beliebig ist oder aber der catchieste Sommer-Hit, der Mitte der Neunziger nicht veröffentlicht wurde. Selbst vor Experimenten mit zeitgenössischen Elektro-Sounds scheuen Bettencourt und Co. nicht zurück („Thicker Than Blood“).

So ist "Six" metallisch, hard rockend. poppig, allzu smooth, schmutzig,  - und das alles zur gleichen Zeit. Obwohl nicht  alle Experimente funktionieren, macht dieses Werk einfach Spaß und inspiriert die Gitarristen unter den Zuhörern wohl unweigerlich schleunigst selbst zum eigenen Instrument zu greifen. Überdies ist diese Platte soundtechnisch eine Wucht und insbesondere was die Aufnahmen von Bettencourts Gitarrenspuren anbelangt eines der am besten klingenden Alben der letzten Zeit.

Beweisstück 1: -das Solo zum borderline-unspielbaren Solo des Jahres:

 
Credit Coverild: © earMusic Edel