Samstag, 2. Oktober 2021

FRANK SINATRA HAS A COLD: NEW JOURNALISM AND OL´ BLUE EYES

1962: Sinatra im Studio mit Count Basie
Credit Bild: © Phil Stern Estate, Courtesy of the Fahey/Klein Gallery, Los Angeles

Sinatra mit Schnupfen ist wie Picasso ohne Farbe, Ferrari ohne Sprit – nur schlimmer. Weil ihn eine Erkältung seines unbezahlbaren Juwels, seiner Stimme, beraubt; sie bohrt sich nicht nur tief in sein Selbstbewusstsein und verändert seine Psyche, sondern ruft obendrein noch eine Art psychosomatischen Schnupfen bei Dutzenden von Menschen hervor, die für ihn arbeiten, mit ihm trinken, ihn verehren, auf Gedeih und Verderb von ihm abhängig sind.“ Messerscharfe Beobachtungen wie diese, die  - insbesondere „back in the Mid Sixties“ – nicht gerade üblich für ein Prominenten-Feature waren, machten Gay Taleses Portrait über einen Superstar, zu dem er trotz eines high profile-Auftrags des Esquire Magazins einfach nicht vordringen konnte, legendär. 

Dabei fing alles recht konventionell an: Im Winter des Jahres 1965 bekam Talese vom renommierten Blatt den Auftrag einen Artikel über den ikonischen Swing Sänger zu schreiben. Frank Sinatra war damals 50 und trotz eine sich zunehmend ändernden Musik-Zeitgeists noch immer „on top of the world“, auch in kreativ-künstlerischer Hinsicht. Der Esquire-Artikel hatte also potentiell alles was ein spannender Beitrag über einen großen Stilisten und Interpreten brauchte.Nur ein nicht ganz unwesentliches Detail trübte das Bild: Sinatra war unpässlich - „had a cold“.„Sinatra mit Schnupfen ist wie Picasso ohne Farbe, Ferrari ohne Sprit – nur schlimmer. Weil ihn eine Erkältung seines unbezahlbaren Juwels, seiner Stimme, beraubt; sie bohrt sich nicht nur tief in sein Selbstbewusstsein und verändert seine Psyche, sondern ruft obendrein noch eine Art psychosomatischen Schnupfen bei Dutzenden von Menschen hervor, die für ihn arbeiten, mit ihm trinken, ihn verehren, auf Gedeih und Verderb von ihm abhängig sind.“ Messerscharfe Beobachtungen wie diese, die  - insbesondere „back in the Mid Sixties“ – nicht gerade üblich für ein Prominenten-Feature waren, machten Gay Taleses Portrait über einen Superstar, zu dem er trotz eines high profile-Auftrags des Esquire Magazins einfach nicht vordringen konnte, legendär. 

The Voice“, der nicht nur der Big Apple zu Füßen lag, fühlte sich nicht gut und wollte überdies auch nicht mit dem Journalisten sprechen. Was also tun, wenn das Subjekt des Artikels gar keinem „one on one“-Interview mit dir zustimmt ? Normalerweise der absolute Supergau für jeden Berichterstatter, in diesem Fall aber ein Katalysator für kreative Höchstleistungen - an deren Ende eines der absoluten Schlüsselwerke einer völligen neuen Gattung Journalismus stand. Denn Talese verzagte nicht sondern beschrieb und interviewte kurzerhand das Umfeld Sinatras. Auch ohne dessen direkte Mitwirkung zeichneten Kollegen, Produzenten, Studiobosse, Angehörige ein überaus plastisches Bild des des Mannes aus Hoboken. 

Der fertige Artikel hatte es in sich, denn was 1966 auf den Seiten des Esquire erschien - ohne dass es je zu besagtem Interview mit Sinatra gekommen wäre -  wurde zu einem der definierenden  Momente  des New Journalism, bei dem die vormals harte Grenze zwischen Literatur und Journalismus verwischt wurde und in stark subjektiver und künstlerischer Art und Weise die Muster der nüchterne  Berichterstattung alter Schule aufgebrochen wurden. 

Im Taschen Verlag ist nun eine neue Edition dieses Stücks Journalismus- und Musikgeschichte erschienen, die den Esquire-Artikel Taleses mit Faksimiledrucken von Manuskriptseiten, Briefwechseln und Original-Storyboards sowie einer Vielzahl von Fotos (behind the lens: Phil Stern, John Bryson, John Dominis und Terry O’Neill !) in einem großformatigen Buch vereint. Die expressiven Bilder und der brillante Text ergänzen sich perfekt und machen „Frank Sinatra Has A Cold“ zu einem faszinierenden Coffe table-Bildband über einen großen Musiker und einen Pionier im Bereich des kreativen Journalismus. Noch heute, Jahrzehnte später, wirkt dieser Artikel alles andere als verstaubt, der Leser wird förmlich in die Geschichte hineingezogen – auch weil diese bahnbrechende Arbeit nicht nur ein unkonventionelles Portrait Sinatras ist,  sondern letztlich eine Abhandlung über jene schwer zugänglichen Sphären, in denen Menschen einer gewissen Prominenzstufe weilen. 

Credit Coverbild: © Taschen Verlag

Gay Talese. Phil Stern. Frank Sinatra Has a Cold 
Hardcover mit einem Fold-out, 23,6 x 33,3 cm, 1,88 kg, 250 Seiten
ISBN 978-3-8365-8829-4, Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, taschen.com