Wenn in
den USA heute Abend „Twin Peaks“ ins Fernsehen zurückkehrt*, so ist das nicht
nur das TV-Event des Jahres, es
schließt sich vor allem auch ein Kreis: Denn David Lynchs Serie über die
merkwürdigen Vorkommnisse in der nur vermeintlich beschaulichen, titelgebenden Kleinstadt
nahe der kanadischen Grenze stellt quasi die Stunde Null des „high quality tv“
dar – Fernsehen, das nicht nur den Anspruch hatte gute TV-Unterhaltung im
bekannten Format zu bieten, sondern das so
ambitioniert und anspruchsvoll wie ein
Hollywood-Spielfilm war.
Die
Ausstrahlung von „Twin Peaks“ deutete in den frühen Neunzigern auf einen Paradigmenwechsel
in der „small screen“-Branche hin.
Das
Versprechen eines neuen Fernsehens, das die Macher David Lnych und Mark Frost
mit dem ambitionierten Projekt gegeben hatten, sollte jedoch erst knapp ein Jahrzehnt nachdem die erste Folge der
Mystery-Kult über amerikanische TV-Geräte
geflimmert war, eingelöst werden: mit David Chases „Sopranos“ (an der wiederum der
spätere „Mad Men“-Macher Matthew Weiner mitwirkte) wurde endgültig das „goldene
Zeitalter“ der TV-Serien eingeläutet, mit
dem wegweisende Serien wie beispielsweise die erwähnte Saga über Werbefachmann
Don Draper, „Breaking Bad“, „Boardwalk Empire“, „Dexter“, oder zuletzt „Westworld“
folgten.
Nun kehrt
jene Show mit der Anfang der Nineties alles begann zurück und so lohnt sich ein
ein Blick zurückzuwerfen: auf die ersten zwei Seasons und darauf, was eines der
größten Fernsehphänomene aller Zeiten eigentlich ausmachte.
Zum Plot: Es
ist ein Tag wie jeder andere in Twin Peaks.Pete Martell möchte einer seiner
Lieblingsbeschäftigungen nachgehen und macht sich zum Fischen auf. Doch etwas
ist an diesem Tag anders, ganz anders. Denn es wird die Leiche eines jungen
Mädchens angeschwemmt: In Plastikplane eingewickelt, ermordet. Es ist die
Ballkönigin Laura Palmer, Tochter des angesehen
Anwalts der Stadt.
Was ist
mir ihr geschehen? Eine Frage die die ganze in ihren Grundfesten erschütterte Gemeinde
martert. Solche Tragödien kennt man doch nur aus der Großstadt und von jener
ist Twin Peaks meilenweit entfernt. Zur Klärung des Falls kommt der FBI-Special
Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan) nach
Twin Peaks und muss bald erkennen, dass dort
nichts so ist wie es auf den ersten Blick scheint. Und was haben Coopers enigmatische
Visionen, die ihn von Zeit zu Zeit heimsuchen, eine Frau, die mit einem
Holzscheit spricht und ein unheimlicher langhaariger Typ, den manche Bewohner
sehen mit alldem auf sich?
Jede über
diese Kurz-Synopsis hinausgehende Bemerkung würde unweigerlich dazu führen,
handlungsrelevante Wendungen vorwegzunehmen und den Zuseher so einer unglaublichen
„Viewing-Experience“ zu berauben. Ja, „Twin Peaks“ (TP) macht es einem fast schon
schwer ein Review zu verfassen, ohne nach jedem Absatz ein großes
„Spoiler!“-Schild auszupacken. Zumal die Serie auf vielen verschiedenen Ebenen
funktioniert- nicht umsonst häufen sich im Internet seitenweise
Erklärungsversuche und Essays darüber, was denn nun genau in „Twin Peaks“ vor
sich ging.
TP
stellt die Definition einer Kultserie
dar. Heutzutage wird dieser Begriff ja schon in inflationärer Art und Weise
gebraucht und es beschleicht einen das Gefühl, dass mittlerweile jede zweite
TV-Serie, die länger als eine Staffel
lang die vom Sender erwartete Quote einfährt, als solche tituliert wird. Nun,
Twin Peaks verdient das Kultlabel mehr als zurecht.
Denn bei
„Twin Peaks Revisited“, also beim neuerlichen Anschauen der zwei Staffeln,
fällt eines ganz eklatant auf: Die Serie ist nicht wirklich gealtert.
Obwohl in
der damaligen Gegenwart angesiedelt, hat man nicht das Gefühl sich eine Serie,
die fast 3 Jahrzehnte auf dem Buckel hat anzusehen.
Technische
Geräte spielen nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dem hilft natürlich das ländliche
Setting, das von Technik nicht so abhängig ist, wie wenn die Handlung in einer
Großstadt spielen würde.
Sicher
liegt die zeitlose Faszination von TP
auch an der ungemein liebevollen Charakterzeichnung jeder einzelnen
Figur. In TP geht es nicht „nur“ um Spannung und im Mittelpunkt steht nicht
„nur“ die Hatz nach dem Mörder von Laura Palmer.
Vielmehr
lernt man als Zuschauer fast schon in „our town“—Manier die ganze TP-Gemeinschaft
näher kennen.
In TP mixen
Lynch und Frost auf virtuose Weise Genres und verbinden die klassische detective
story mit Cooper als holm´schen Helden mit dem
„murder mystery“ und der Studie einer skurrilen Kleinstadtgemeinde.
Manche
sprachen in diesem Zusammenhang von Soap-Elementen. Eine Meinung, die ich nicht
unbedingt teilen kann. Denn steht zwar außer
Frage, dass auch die mannigfaltigen zwischenmenschlichen Beziehungen in TP
eingehend beleuchtet werden, dies geschieht jedoch in einer weitaus naturalistischeren
und gehaltvolleren Darstellung als in den besagten seifigen Nachmittagssendungen.
Hinzu
kommt, dass in Twin Peaks jeder mehr ist
als er vorzugeben scheint. Nichts ist so wie es auf den ersten Blick scheint.
Hier wird
der gepflegte Cliffhanger auf die Spitze getrieben und als Zuseher sitzt man
mit offenem Mund ganz am Rande des Sessels:„The Owls Are Not What They Seem“- einer
jener Kultsätze aus TP, den Cooper in einer seiner Visionen hört, fällt einem
ein.
Hier kommt
auch eines von Lynchs Lieblingsthemen, das sich durch so viele seiner Arbeiten
zieht zum Tragen: Das Böse das hinter der blitzenden Fassade der heilen Welt
lauert.
In „Blue
Velvet“, in dem ebenfalls Kyle MacLachlan mitspielt, sind es die Vorstädte, hier das Setting der Kleinstadt, die fernab
von dem „Bösen“ der Großstadt gelegen ist und dennoch in den Einfluss dunkler
Mächte gerät.
Die
Spannung und diesen Sinn von einer unterschwellig brodelnden Gefahr, die TP im
Seher evoziert ist wahrlich meisterhaft.
Hinzu
kommen der herzerwärmende Humor, der ebenfalls nicht zu kurz kommt und die im
Laufe der Serie immer mehr zunehmenden Mystery-Elemente.
Beim
ersten Kritiker-Screening wurde der Serie jedoch keine Überlebenschance
eingeräumt- zu anders war das, was die Kritiker da am Bildschirm sahen und zu
weit weg vom Mainstream um sich zu etablieren.
Und ehrlich
gesagt, man kann diese Haltung auch ein Stück weit verstehen.
Denn TP
ist natürlich Lynch pur. Ungemein faszinierend, dabei gelichzeitig aber auch
mehr als rätselhaft.
Der US-Sender
ABC, der die finanziellen Mittel zur Realisierung von Lynchs und Frosts Idee beisteuerte
ging mit der Genehmigung von TP sicher ein Risiko ein, war jedoch auch im
Zugzwang sich gegen die anderen großen amerikanischen Networks durchzusetzen.
Etwas Neues musste her. Und Twin Peaks war neu- und wie!
Der
Erfolg, den die Ausstrahlung des spielfilmlangen Piloten nach sich zog
überraschte und man genehmigte die Fortführung der TP-Story.
Ganz so abenteuerlich
waren die verantwortlichen Herren ABC in
letzter Konsequent dann aber leider doch
wieder nicht. So ist die Story von TP auch die eines Kampfes zwischen den
kreativen Kräften hinter der Idee (Lynch und Frost) und den pekuniären
Interessen des Senders.
Am Ende
musste dann der Stoff, der noch locker für eine dritte Staffel gereicht hätte mehr
schlecht denn recht in Season 2.0 reingequetscht werden.
Obwohl die
Serie bis zum atemlosen Finale überaus spannend bleibt, taten viele
Entscheidungen die während der Arbeit getroffen wurden, der Serie nicht eben
gut.
So
zerfällt TP grob in zwei Teile.
Hier jetzt
eine kurze Spoilerwarnung!:
Wer
absolut null und nada über den Handlungsverlauf wissen will, kann ab jetzt zum
nächsten Absatz springen: Die Bruchstelle kommt nach der Enttarnung des Mörders
nach der Hälfte von Season 2. Die mystischen Elemente nehmen nun verstärkt zu.
Eine metaphysische Ebene die zwar mit Coopers Visionen korrespondiert, die die
Serie aber nicht unbedingt gebraucht hätte, auch wenn Lynchs Paralleluniversum
natürlich faszinierend ist.
Spoiler-Ende!
Die
Zuseherzahlen schwanden langsam aber sicher auch, der Sendeplatz wurde immer
wieder verschoben. Nicht auszudenken, wie TP ausgesehen hätte, wenn man Lynch
seinen Lauf gelassen hätte- es wird jedoch auch klar was TP für Pionierarbeit
geleistet hat.
TP war
seiner Zeit meilenweit voraus und es ist schon bezeichnend, dass kurze Zeit spätere
etwa die X-Files mit David Duchovny, der in TP auch eine kleine Rolle hat,
starteten.
Nachdem
wohl auch für Lynch etwas unbefriedigenden Abschluss der Serie kehrte der
Regisseur mit dem Feature Film „Fire Walk With Me“ 1992 nach Twin Peaks zurück
und entwarf einen (alp-) traumartigen Film, der gleichzeitig Prequel- wie
Sequel-Elemente beinhaltet.
Diesen
Film sollte man sich allerdings erst nach dem Genuss der TV-Staffeln ansehen.
Er trägt nicht unbedingt viel zum Verständnis des TP-Mysteriums bei, nimmt
jedoch einige der spannendsten Plottwists der Serie vorweg.
Fazit:
„Verdammt
guter Kaffee“ entfährt es Agent Cooper ob des Genusses des wohl meist
konsumierten Getränks in ganz Twin Peaks (wohl nicht zufällig bietet Mr. Lynch
selbst eine eigene Kaffeemarke auf seiner Website an…..)
Und
„Verdammt gute Serie“ kann man da nur sagen, auch wenn TP sicher nicht
hundertprozentig perfekt ist:
Insbesondere
ab der kritischen, zweiten Hälfte der
zweiten Staffel werden nicht mehr alle Handlungsfäden aufgeklärt und auch der
Schluss wirkt etwas übereilt.
Besonders
wenn man bedenkt, wieviel Zeit für die genaue Charakterentwicklung man sich bis
dahin genommen hatte. Doch wer sich an den Pilotfilm wagt, ist sofort „hooked“
und kann sich dem Bann von Twin Peaks und seiner umliegenden Wälder wohl kaum
entziehen.
TP ist
wahrlich eine essentielle TV-Serie für Lynch-Fans und Freunde abseitiger
Unterhaltung.
Ich bin
jedenfalls schon sehr gespannt auf die neue Staffel von Twin Peaks - dass die
Serie nun doch noch eine damals geplante, jedoch nicht zustande gekommene
dritte Season bekommt, lässt darauf hoffen, dass manch lose gebliebenen
Handlungsstränge endlich aufgelöst werden.
* in
Österreich und Deutschland kann man die Serie ab Donnerstag auf Sky Atlantic
sehen, es wird insgesamt 18 Folgen in der dritten Staffel geben, die jeweils
ein apart Tage nach der Erstausstrahlung in den USA gesendet werden.