Freitag, 8. Dezember 2023

THE BIG BOOK OF LEGS

Bettie Page  Dian Hanson Big Book Of Legs Taschen Verlag Vintage Pin-Up Retro Inside
Pinup-Legende Bettie Page am Strand, fotografiert von Bunny Yaeger
Credit Bild: © Taschen Verlag
In den Fünfzigern war man von "Long Tall Sallies", also großgewachsenen Frauen mit langen Beinen mitunter derartig fasziniert, dass sich diese Begeisterung in zahlreichen Songtexten niederschlug: Neben dem eingangs erwähnten Klassiker sang auch Rockabilly-Pionier Johnny Burnette von einer über 1,80 großen Angebeteten, deren Beine so lang waren, dass ihre Füße im Vorzimmer herausschauten wenn sie  in der Küche schlief. Nun mag dies nicht der bequemste Ort für die Nachtruhe sein, sein Genre-Kollege Billy Lee Riley tat es ihm mit einer fast identischen lyrischen Beschreibung in „Red Hot“ jedoch gleich und sang von einer ebenso langbeinigen Gazelle. Ein paar Jahrzehnte später machten dann "Hot Legs"  Rod Stewart im gleichnamigen Song vollkommen fertig. Billy Gibbons, Dusty Hill und Frank Beard von ZZ Top beschrieben im programmatisch betitelten „Legs“ die Vorzüge einer Frau, die ebenjene gekonnt einzusetzen wusste - und David Lee Roth dozierte untermalt von den lasziven Riffs Edward Van Halen gar über „Drop Dead Legs“ .

Eine gewisse lyrische Tendenz lässt sich hier also durchaus ablesen, die Liste an „Songs About Gams“ könnte man jedenfalls noch beliebig lange fortführen. Doch auch abseits der Recording Industry waren es interessanterweise immer wieder Beine - und weniger die -ähem- offensichtlicheren Busen & Pos -  auf die der Fokus gerichtet wurde. Ein Blick durch unterschiedliche Epochen der Geschichte zeigt, dass dieser Körperteil immer wieder im Fokus stand: In viktorianischen Zeiten, gemeinhin eine Ära schwelender Prüderie und noch stärkerer Doppelmoral, barg schon die bloße Erwähnung des Wortes „Beine“ die Gefahr, die Gentlemen des Empire in Raserei zu versetzen und sollte daher - Etikette ist schließlich alles - tunlichst vermieden werden. So will es zumindest die Legende. Die Befreiung des Beins - auch durch die sich ändernde Damenmode - war wiederum ein Teilaspekt der Emanzipationsbewegung und veränderter Sexualmoral. 

Im Hollywood zu Zeiten der Selbstzensur des Motion Picture Production Codes, auch als Hays-Code bekannt, durfte man wiederum auf dem Silver Screen wenig zeigen, das (nur vermeintlich) unverfänglich-unschuldige Bein war davon jedoch nicht betroffen, was für einige erotisch aufgeladene Szenen sorgte, die nicht den Scheren der Sittenwächter zum Opfer fielen. Tänzerin Cyd Charisse wiederum war nicht nur für ihre komplexen und eleganten Tanzchoreographien mit Fred Astaire berühmt, sondern auch für ihre  48,5 Millionen Dollar Beine . Und die Spinde und Kriegsgeräte zierenden Pinup-Girls der amerikanischen GIs waren für ihre "Legginess" berühmt.

Man sieht: Die (Pop-)Kulturgeschichte dieser Körperteile ist so lang wie die unteren Extremitäten einer Laufstegschönheit nach Pariser Gardemaß. Dementsprechend umfangreich und schwer (372 Hochglanz-Seiten im XL-Format) ist dann auch  "The Big Book Of Legs" ausgefallen, das nun in einer Neuauflage erschienen ist. Darin entwirft Autorin Dian Hanson (als ehemalige Herausgeberin des „Leg Show“-Magazins eine Kapazität auf dem Gebiet anatomischer Forschung unter ästhetischen Gesichtspunkten)  anhand von teils rarem Bildmaterial und witzigen Essays eine soziokulturelle Chronik sich wandelnder Körper-(Selbst-)Bilder und Schönheitsideale. 

Der Fokus liegt dabei vor allem auf Vintage-Aufnahmen mit historischen Aufnahmen von 20er Jahre-Flapper Girls oder  klassischen Pinup-Bilder von Bettie Page. Man sieht Arbeiten der Fotografie-Pioniere Bunny Yaeger, Elmer Batters oder Peter Gowland. Es sind dies teils seltene Aufnahmen, die auch eine Geschichte der sexuellen Revolution erzählen. Beim Gipfel jener Bewegung  endet dieses Buch jedoch, der Bogen wird nur bis zu dem Ende der 60er gespannt, vor den 70ern ist kurioserweise Schluss.

Hier wurde eine Gelegenheit verpasst auch die "Leg Affinity" der MTV-Musikvideos ab den Achtzigern oder die modernere Fashion-Obsession für Beine - Nadja Auermann anyone? -  zu beleuchten. Schöne Beine kommen schließlich nie aus der Mode.  Dennoch ist dieser Bildband ein schönes Sammlerstück, das sowohl  in einer XL-Edition mit originellem Einband als auch als handliche Kompakt-Variante mit weniger Bildmaterial und ohne lange essayistische Begleittexte erhältlich ist. 

 The Big Book Of Legs" und "The Little Book of Legs", beide erschienen im Taschen Verlag

Taschen Big Book Of Legs Cover  Legs Thighs Stockings Nylons
Credit Coverbild: © Taschen Verlag