Credit Coverbild: © Reproduced by permission of Harper Perennial/an imprint of Harper Collins |
Um ganz exakt zu sein handelt es sich hierbei um eine sogenannte „Movie Novelization“. Das ist deshalb wichtig, weil Tarantino hier nicht nur seinen eigenen Film in einem neuen Medium präsentiert, sondern dies auch seine persönliche Hommage an ein marginalisiertes Genre ist. Romanfassungen bekannter Filme erfreuten sich gerade in den 50s, 60s und 70s in Form billig produzierter Paperbacks, die man meist nahe der Kasse von Supermärkten fand, großer Beliebtheit. Die große und anspruchsvolle Literatur waren sie eher weniger, wenngleich sich unter ihnen durchaus so manches Kleinod entdecken lässt. Ein Teil ihres Reizes lag auch darin, dass diese Adaptionen immer wieder von der eigentlichen Filmhandlung abwichen, da sie mitunter auf den „First Drafts“ der Scripts basierten. In Tarantino hat dieses Genre einen seiner prominentesten Fans, der seinen Erstlingsroman entgegen der klassischen Veröffentlichungspolitik als Paperback-First Edition herausbringt. Die unbedingt zu empfehlende US-Version des Buchs atmet ganz den Geist vergangener Tage und ist bis ins letzte Detail wie ein Vintage Mass Market-Büchlein gestaltet. Ähnlich wie beim an eine '69er Radio-Show angelehnten Soundtrack zum Film hat das etwas von einem Gesamtkunstwerk, bei dem Form und Inhalt in einer Symbiose eine spezielle Lese-Experience ergeben - inklusive Retro-Coverdesign sowie den obligatorischen Advertisements am Ende des Buchs (darunter eine äußerst originelle Fake-Werbung für einen Roman, der sowohl im Movie als auch in der Novelization vorkommt).
Wer den Film gesehen hat, wird zahlreiche Passagen und den Grund-Plot wiedererkennen. Wir schreiben das Jahr 1969. Es ist eine Zeit der Wende, nicht nur gesellschaftlich sondern auch in der Filmindustrie. Das alte Studiosystem liegt endgültig in seinen letzten Zügen, die Schauspieler der Eisenhower-Ära sind zunehmend weniger gefragt - denn die Vertreter der Counterculture und jene, die sich an den Zeitgeist anpassen können, laufen Ihnen zunehmend den Rang ab. Zu jener Gruppe, die eher Gefahr läuft vollends an den Rand gedrängt zu werden zählt Old School-Schauspieler Rick Dalton (im Film gespielt von Leonardo DiCaprio). Er und sein Stunt Double Cliff Booth (Brad Pitt in seiner Oscar-Rolle) schlagen sich im unbarmherzigen Film-Biz durch während sich rund um sie die Industrie komplett verändert. Die Stars des Moments sind etwa Ricks neue Nachbarn, der Regisseur Roman Polanski und seine bezaubernde Frau Sharon Tate (Margot Robbie). Für Dalton bleiben vorerst nur die Optionen sich mit Rollen des "Bösewichts der Woche" in TV-Serien zu begnügen oder aber nach Italien zu gehen, um dort Spaghetti Western zu drehen. Unterdessen ziehen dunkle Wolken über der Stadt der Engel auf, denn die aus der Perversion der Hippie-Ideale entstandene Family Charles Mansons treibt ihr Unwesen.
Ausgehend von der episodenhaften Grundstruktur seines neunten Films nimmt Tarantino in seinem Roman - ähnlich wie seine Figur Cliff Booth in seinem Karmann Ghia - zahlreiche Abzweigungen und Tangenten oder wechselt gleich zur Gänze die Spur. Obwohl die Art wie er Szenen beschreibt durchaus an ein Drehbuch erinnert und vereinzelte Passagen nahezu 1:1 aus dem Film stammen, hat man es hier keinesfalls mit einer Nacherzählung des Films oder einer Konvertierung des Scripts mit Weglassen der obligatorischen „Ext.“ und „Int.“-Direktiven zu tun. Vielmehr erweitert und ergänzt der Regisseur seine Story, variiert Szenen und Abläufe und gibt einigen Figuren mehr "Screentime" auf Papier. Für all jene, die komplett unvoreingenommen an die Lektüre herangehen möchten, gibt es jetzt eine kleine Spoiler-Warnung. Es werden im Folgenden selbstverständlich keine kompletten Handlungsdetails verraten, aber wer sich überraschen lassen will, kann den folgenden Absatz skippen.
Gerade was die Hintergrundgeschichte seiner schon im Film sehr plastischen Protagonisten und Antagonisten anbelangt geht Tarantino in seinem Roman noch zusätzlich in die Breite. Besonders deutlich wird dies beim Charakter Cliff Booths, dem sein Schöpfer noch mehr Platz als im Film einräumt. Brodelte das Gewaltpotential des Stuntman bei Pitt eher unter der Oberfläche, bis es sich vereinzelt eruptiv entlud, so wird Booth im Roman von Beginn an als wesentlich dunkler und brutaler gezeichnet. Dass der WK II-Veteran nach seinem Dienst für Uncle Sam kurzfristig über eine Karriere nachdachte, die aus Billy Wilders "Irma la Douce" stammen könnte, zählt da noch zu den harmloseren Überraschungen in seiner Vita. Die Figur des Rick ist weitgehend deckungsgleich mit DiCaprios Dalton, auch wenn wir im Roman nun erfahren, was seine selbstzerstörerischen Stimmungsschwankungen eigentlich verursacht. Zudem verbringt man als Leser noch sehr viel mehr Zeit am Set der Western-TV-Show „Lancer“ und auch innerhalb der fiktiven Welt der im Film gezeigten Episode. Wir erfahren außerdem wie Manson Girl Pussycat - einer der Standout-Parts im Film - in die Fänge der Hippie-Sekte kam. Ihr Aufeinandertreffen mit Cliff in Daltons Cadillac ist im Buch überdies weitaus expliziter und hätte wohl die Altersfreigabe des Films raufgeschraubt.
Tarantinos Schreibstil ist bildhaft und dabei gleichzeitig schnörkellos. Die Sätze sind prägnant und weisen keinerlei Fett auf. Anders als bei den in modernen Romanen üblichen Linguistik-Experimenten gibt es hier keine übertrieben blumige Prosa. Es ist diese knappe, präzise Sprache, die immer wieder an die amerikanische Literatur ab den Fünfzigern erinnert - und in ihrer Lakonie näher an den klassischen Hard Boiled-Writern ist als die meisten Neo-Noir-Romane.
Wer bislang nichts mit den Filmen des Kultregisseurs anfangen konnte, wird nach der Lektüre nicht konvertieren. Denn der Regisseur/Autor schreibt sein Buch letztlich genauso so wie er seine Filme dreht. „Once Upon…“ ist gleichzeitig dramatisch, nostalgisch, witzig, brutal, erotisch, empathisch mit seinen Figuren und gespickt mit filmhistorischen Querverweisen und Insider-References. Ein beträchtliches Wissen über Film, Musik und Popkultur ist – auch weil im Buch natürlich Faktoren wie stylische Visualisierungen und die Starbesetzung fehlen, die selbst ein sonst eher im Mainstream beheimatetes Publikum ansprechen - geradezu unerlässlich. Denn die „Once Upon..“-Novel ist auch ein leidenschaftliches Essay über das Medium Film an sich - bei dem die Bandbreite vom Giallo über die Nouvelle Vague bis hin zu Vilgot Sjömans 60er-Aufreger „Ich bin Neugierig (Gelb)“ reicht... Immer wieder nehmen die Figuren im Laufe der Handlung eine Rolle an, die man als Alter Ego ihrer Regisseurs/Autors deuten kann - etwa wenn der Leser das Ranking von Cliffs Top Kurosawa-Filmen erfährt.
Man kann Tarantinos Roman nur als filmisch bezeichnen. Es hat den Rhythmus seiner Scripts und entwickelt eine regelrechte Sogwirkung. So mag dieser Alternate/Extended Cut in literarischer Form zwar echte „pulp fiction“ sein, doch erreicht dieser Roman durch seine essayistische und intertextuelle Komponente eine Qualität und Tiefgründigkeit, die den alten Movie Novelizations fehlte.
ONCE UPON A TIME IN HOLLYWOOD – A NOVEL BY QUENTIN TARANTINO, englische Originalausgabe, erschienen bei Harper Perennial/Harper Collins